Das Erwachen
in sich tragen, sollen dem Wohl des Ganzen dienen, nicht einem privilegierten Hydden die Jugend erhalten. Hätte der Frühling von einem solchen Hydden gefunden werden wollen, hätte er dafür gesorgt, dessen bin ich mir sicher! Doch er hat es nicht getan. Er hat Bedwyn Stort auserwählt – und ich sage ganz bewusst ›auserwählt‹, denn ich hätte mir keine bessere Wahl vorstellen können.«
Er erntete beifälliges Raunen.
»Nun denn«, sagte Festoon, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte in die Runde, »wenn wir alle dazu bereit sind, Stort unser Vertrauen zu schenken, halte ich es für an der Zeit, ihn zu fragen, was wir seiner Meinung nach tun sollen. Stort?«
»Als Imbolc mir auf dem Waseley Hill den Stein anvertraute, bat sie mich, ihn für ihre Schwester, die Schildmaid, aufzubewahren. So weit, so gut. Nur leider weiß ich nicht recht, was eine Schildmaid überhaupt ist! Niemand weiß es. Das macht es etwas schwierig. Woher sollen wir wissen, was wir mit dem Stein des Frühlings tun sollen, während wir darauf warten, dass sie erwachsen wird?«
»Ist das wirklich wahr, Master Brif?«
»Aber gewiss, Stort hat recht. Über die Friedensweberin gibt es eine Fülle historischer Aufzeichnungen, über ihre Schwester so gut wie gar nichts. Im Grunde müssen wir uns im Hinblick auf Schildmaiden drei Fragen stellen. Aber alle sind theoretischer Natur, da noch nie jemand einer begegnet ist. Erstens: Sind sie den Sterblichen Hilfe oder Hindernis? Zweitens: Wie lange leben sie? Drittens: Was tun sie?«
Er stand auf und griff nach seinem Knüppel.
Welch ein Licht versprühten da die Schnitzereien des Knüppels, welch eine Intelligenz seine Augen, welch ein Mitgefühl sein ganzes Wesen! So gestimmt und so in Redefluss geraten, konnte Brif großartig sein.
»Was die erste Frage anbelangt, so glaube ich, dass die Schildmaid uns nur so lange freundlich gesonnen bleiben wird, wie wir ihr geben, was sie braucht und was sie ersehnt, nämlich das, was ihr die Steine und die Feuer darin verschaffen. Darum hat Stort recht, dass wir den Stein vor allen schützen müssen, die versuchen könnten, seine Kräfte für andere Zwecke zu benutzen als die, die der Schildmaid dienen.«
Er hielt inne und trank einen Schluck Wasser.
»Nun zu der Frage ihrer Lebensdauer, die in der Literatur viel erörtert wird. Sollte sie fünfzehnhundert Jahre leben, wie es die Friedensweberin getan hat, läge vor uns eine sehr lange Zeit des Erdenzorns, deren Ende keiner in diesem Raum erleben wird und über die wir keine brauchbare Voraussage treffen können. Auf der anderen Seite, wenn ihr Leben kürzer ist als das ihrer Schwester, vielleicht sehr viel kürzer, dann kann das, was wir jetzt beschließen, da es sie zum Guten oder zum Schlechten beeinflusst, über die Sicherheit und das Wohlergehen der Sterblichen in allen künftigen Zeiten entscheiden. Ich vermag nicht zu sagen, wie lange sie leben wird, aber ich glaube, dass wir so handeln müssen, als läge die Zukunft aller Dinge und vielleicht sogar des Universums in unseren Händen, oder ganz besonders in denen Bedwyn Storts.«
Eine Augenblick lang betrachtete er Stort wie einen Sohn, der den Kinderschuhen entwachsen ist und nun in die weite Welt hinaus muss. Das Vertrauen zwischen den beiden war deutlich spürbar.
»Schließlich«, fuhr Brif fort, »was tut sie eigentlich, diese Schildmaid, über die uns so wenig bekannt ist? Wir wissen nur, dass sie in irgendeiner Weise eine Seite des irdischen Daseins widerspiegelt, von der ihre Schwester das Gegenteil verkörpert hat. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille, und diese Medaille ist die Erde. Wir könnten die eine Seite auch Krieg, die andere Frieden nennen. Oder Zwietracht und Eintracht. Ungleichgewicht und Gleichgewicht.
Einige Denker, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, darunter auch ich, ziehen den Begriff der musica universalis vor, jener erlesenen und schönen Sphärenmusik, von der alle Dinge durchdrungen sind. Die Geschichte der Sterblichen und die Geschichte der Erde, die miteinander verknüpft sind, wie auch die des Universums, zeigen, dass bisweilen sogar die musica vom Weg abkommt. Ihre Harmonie geht verloren, sodass eine Zeitlang alle Dinge, große wie kleine,schauerlich misstönend klingen, schrill und schmerzhaft für die Ohren. Es ist allgemein bekannt, dass Missklänge Glas zum Springen bringen können. Nun, meinen Herren, stellen Sie sich das auf der Ebene des Universums vor. Alles wäre verloren,
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