Das Erwachen
Bochum mit Jungen herumstromerte, aber auch weinte und jammerte oder nur so tat, wenn es ihr dienlich war. Und am Fest zu ihrem elften Geburtstag erhob sie sich von ihrem Platz und verkündete: »Von heute an heiße ich für jeden ...«
Sie hielt inne, denn die Gäste unterhielten sich weiter und sie wollte, dass sie ihr zuhörten. Sie blieb schweigend stehen, blickte scharf in die lärmende Runde und wartete mit ernstem Gesicht, bis Ruhe einkehrte.
»Mein neuer Name, bei dem ihr mich alle nennen werdet, denn wenn ihr es nicht tut, werde ich nie wieder mit euch sprechen, und wenn ihr mich Margarethe nennt, werde ich euch ganz langsam mit meinen Haarnadeln totstechen ... Mein neuer Name ist ...«
Sie ließ den Blick durch die Halle schweifen, hinauf zu den Schatten an der Decke, hinab zu den Strahlen der Nachmittagsonne, zu den tanzenden Flammen der Kerzen auf ihrer Geburtstagstorte, zu den Gästen ringsum, die alle lächelten, denn sie war bereits allseits beliebt.
»Mein Name ist ...«
Höflinge und Kaiser warteten mit angehaltenem Atem.
Sie schüttelte ärgerlich den Kopf, von ihrem eigenen Tun überrascht und nicht darauf vorbereitet. Der Name, den sie jetzt wählte, würde haften bleiben, darum musste es ein guter Name sein.
Sie seufzte theatralisch, blickte noch einmal zu den Sonnenstrahlen, verließ den Platz neben Sinistral und trat in ihre Wärme. Das Licht fing sich in ihrem blonden Haar, beschien ihr Festkleid, spielte über die Bänder, die sie so liebte.
»Mein Name ist Leetha«, sagte sie.
Kaiser Sinistral erhob sich, einen goldenen Kelch in der Hand. »Auf Leetha, die sich, da ihre Mutter tot und ihr Vater unbekannt ist, endlich selbst einen Namen gegeben hat. Jeder, der sie künftig bei einem anderen Namen nennt, wird sich vor mir zu verantworten haben!«
Er lachte, doch als er wieder Platz nahm, verfinsterten sich seine Züge. Er betrachtete seine Hände. Die Haut brach auf, und die Fingernägel wurden dick und hässlich.
Er verbarg seine Hände und murmelte vor sich hin: »Warum Leetha? Warum dieser Name? Gibt es etwas in ihrer Wurd, von dem ich nichts weiß?«
Sie kehrte tanzend an ihren Platz zurück.
»Gefällt Ihnen mein Name?«, fragte sie.
»Ja.«
»Nennen Sie mich so.«
»Ja ... äh ... Leetha.«
»Mögen Sie ihn ?«
Sie deutete auf den Sohn eines Höflings, der zu ihr hersah und mit den Lippen tonlos Worte formte.
»Was sagt er?«, fragte Sinistral.
»Margarethe, Margarethe, Margarethe. Aber ich werde ihn nicht töten, denn ich habe ihn sehr gern.«
»Dann werde ich es auch nicht tun«, flüsterte er.
»Warum verstecken Sie Ihre Hände, Herr?«, fragte sie.
»Ich fürchte, ich werde dich wieder für einige Zeit verlassen müssen ...«
»Tut es weh, alt zu werden?«
»Ja.«
»Sehr?«
»Manchmal.«
»Wird es wieder schlimmer?«
Niemand sonst sprach so mit ihm, niemand hatte es je getan.
»Ich fürchte ja.«
»Alle wollen wissen, wie Sie sich heilen. Sie sagen, Sie verstecken sich und trinken ein Elixier der alten Götter. Dann warten Sie eine Weile, bis es wirkt, und wenn Sie wiederkommen, sehen Sie jung aus.«
»Tatsächlich?«
Sie sah ihn forschend an und sagte nichts. Er fragte sich, woher sie ihr gutes Aussehen hatte, ihre Lebensfreude. Beides hatte auch er einst besessen und dann verloren.
»Und? Ist es ein Elixier?«
»Etwas Ähnliches.«
»Werden Sie mir eines Tages verraten, was es ist?«
Es war ein Augenblick der Wahrheit.
Er überlegte, ob er es ihr sagen würde oder irgendeinem anderen. In diesem Moment wurde ihm endlich klar, dass er es tun würde. Wenn er sterben musste, sollte es jemand erfahren. Leetha war ...
Leetha war ...
Er staunte, wie schnell sich ihr neuer Name in seinem Kopf festgesetzt hatte. Andererseits musste er ihr recht geben. Margarethe war kein besonders guter Name, und die Beiläufigkeit, mit der sie ihn damals ausgewählt hatten, zeugte von Respektlosigkeit gegenüber ihrem neugeborenen Leben.
Der Name Leetha war so gut wie jeder andere und besser als die meisten. Jetzt war es ihrer. Er hatte nur darauf gewartet, von seiner Trägerin entdeckt zu werden.
»Weißt du denn, was er bedeutet?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du hast eine gute Wahl getroffen. Das Wort stammt aus Englalond, dem Land, in dem ich geboren wurde, und war schon zu Beornamunds Zeiten im Gebrauch.«
»Und was bedeutet es?«
»Mittsommer«, hatte er damals geantwortet. »Das ist der Tag, an dem du geboren wurdest.«Schließlich kam Leetha
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