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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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Stort mochte vielleicht arglos sein, aber nach allem, was man so hörte, war er kein Narr. Er hatte den Stein für die Zeit seiner Abwesenheit irgendwo in der Stadt versteckt, und Slew musste nur herausfinden, wo.
    Das würde nicht schwierig sein.
    Um diese Erkenntnis reicher, genoss Slew den Rest des Festes, bei dem er alle berauschenden Getränke mied, angeblich wegen eines Gelübdes, in Wahrheit aber, weil er solcher Stimulanzien nicht bedurfte, und ging allein zu Bett.
    Am Morgen wusch er sich gründlich, legte die gestohlene Kutte an, die mittlerweile zu seiner Zufriedenheit gereinigt und gebügelt war, und frischte sein gefärbtes Haar auf.
    Machthild hatte eine diesbezügliche Bemerkung gemacht.
    »Was versuchst du zu verbergen?«, hatte sie gefragt.
    Sie war wirklich klug.
    Wie aus dem Ei gepellt und ohne Knüppel, ganz dem Bild eines Gelehrten entsprechend, stellte er sich mit der gebührenden Bescheidenheit und Ehrerbietung in der Großen Bibliothek der Stadt Brum vor.
    Eine Lüge ist umso besser, je näher sie der Wahrheit kommt, und so beschäftigte Slew die Frage, mit welcher Wahrheit er wohl am leichtesten an Master Brif vorbeikommen würde, ohne Argwohn zu erregen.
    Brif war vielleicht der bedeutendste Gelehrte von Hyddenwelt und mit Sicherheit der berühmteste. Es war allgemein bekannt, dass er seit einigen Jahren nur noch, wie er selbst sagte, im Geiste und mittels seiner Bücher in die Ferne schweifte. Aber – und für Slew war es ein gefährliches Aber – die Zahl der Gelehrten, die er kannte, war gewaltig und niemandem bekannt außer ihm selbst.
    Sprach daher ein Gelehrter in der Bibliothek vor, war die Wahrscheinlichkeit groß, sehr groß sogar, dass er unter oder mit jemandem gearbeitet hatte, den Brif persönlich kannte, oder zumindest in einer Institution, deren Ruf und Personal dem großen Meisterschreiber geläufig waren.
    »Ah! Der Herr Mönch. Slew, wenn ich mich nicht irre.«
    Slew fiel vor Brif auf die Knie, was diesem, wie er hoffte, peinlich sein würde, und machte Anstalten, die rote Samtrobe zu küssen. Doch Brif zog sie weg, und Slew war darüber erleichtert. Von Nahem besehen war sie nämlich schmuddelig und zerlumpt, und in solchen Dingen war er eigen.
    »Bitte, Bruder Slew, das ist doch nicht nötig ... Ich bin nur ein Gelehrter wie jeder andere ...«
    »Aber ein großer, Master Brif, sogar ein sehr großer.«
    »Na, na ...«, sagte Brif. »Was können wir für Sie tun?«
    »Ich befinde mich auf Pilgerfahrt, Master Brif, und komme in aller Demut, um meinen unbedeutenden, privaten Studien nachzugehen ... Nichts Besonderes, ein Feld, das gewiss schon viele beackert haben ...«
    »Welches Thema?«, fragte Brif mit einem Anflug von Ungeduld.
    Slews Gewand war sauber, so viel war sicher. Seine Sandalen auch.Er wirkte zu herausgeputzt für diesen Anlass, nicht wie ein ernsthafter Gelehrter aus einer der großen Schulen oder Bibliotheken auf dem Kontinent.
    »Die Jahreszeiten«, antwortete Slew.
    Brif seufzte. Das war genau die Art von nebelhaftem Thema, mit dem sich Gelehrte dieses Schlags beschäftigten.
    »Schön, ausgezeichnet, ein lohnender Gegenstand!«, sagte er einigermaßen gereizt. »Und Ihre Bibliothek ... ich meine die, in der Sie normalerweise Ihre Studien betreiben oder zu der Sie in Kontakt stehen?«
    Slew seufzte, zuckte mit den Schultern und antwortete mit einer Spur Verzweiflung und Hoffnung in der Stimme: »Ich bin ein fahrender Gelehrter, Master Brif, und stets auf der Suche nach Wahrheit, Erkenntnis und einem tieferen Verständnis der Dinge, wo immer ich fündig werden kann. Wie Sie wohl verstehen werden, glaube ich natürlich, dass ...«
    Brif seufzte innerlich noch tiefer.
    Ein fahrender Gelehrter, das waren die Allerschlimmsten. Sie wanderten umher, weil niemand sie wollte, vertraten zweifelhafte Thesen und stellten abenteuerliche Behauptungen auf, die sich jeder Überprüfung entzogen. Außerdem waren sie unfähig, einem Thema auf den Grund zu gehen, weil das mit Arbeit und Mühe verbunden war.
    »Großartig«, fiel Brif ihm ins Wort, »wir heißen Sie in Brum und in dieser Bibliothek willkommen und freuen uns schon auf den Beitrag, mit dem Sie, dessen bin ich gewiss, die Wissenschaft bereichern werden ... Wie, sagten Sie, war noch mal das Thema?«
    »Die Jahreszeiten«, antwortete Slew.
    Brif schnippte mit den Fingern.
    Ein Gehilfe eilte herbei.
    »Eine bestimmte oder alle?«, fragte Brif, leicht säuerlich.
    »Frühling und Sommer«, antwortete

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