Das Erwachen
Katherine. Sie selbst hatte sich nie etwas aus Mädchensachen gemacht, aber seit dem Ausflug auf den Hügel wollte Judith unbedingt einen Rock, ein Kleid oder beides.
»Wieder ein Erdbeben«, murmelte Arthur und schaute von der Zeitung auf, in der er gerade las.
»Wo?«, fragte jemand. »Wann?«
Er spähte über seine Brille hinweg auf das Datum der Zeitung. Sie war zwei Tage alt. In Woolstone House gingen die Uhren langsamer als in der übrigen Welt, wenn man einmal von Judith absah.
»In Redditch, vor drei Tagen. Weitere sollen folgen. Merkwürdig.«
»Wieso merkwürdig?«, sagte Jack. »Die Schildmaid ist geboren. Schon vergessen?«
Sie alle kannten die Geschichte von Beornamund und dem verlorenen Stein des Frühlings, der darauf wartete, gefunden zu werden. Sie kannten und glaubten sie, selbst Margaret. Sie hatten zu viel darüber gesprochen und nachgedacht – oder beides – und gehofft, die Folgen würden ausbleiben.
Judith stand auf.
»Es wird Zeit zum Schlafengehen«, sagte Arthur.
»Ich will nur noch meinen Freunden gute Nacht sagen.«
»Ach!«, sagte Arthur. »Es sind mehr geworden!«
Sie ließen sie in den dämmrigen Garten gehen. Der Wind trug Musik herbei, eindringliche und verlockende Musik. Mit einem Mal wurde Jack unruhig, rutschte in seinem Stuhl vor und sah Judith nach.
»Wenn sie mit ihren Fantasiefreunden spielt, wird ihr nichts geschehen«, sagte Katherine.
Es war ein warmer Abend. Die Musik kam und ging, kaum hörbar. Gerade als Jack aufstehen und nach Judith sehen wollte, immer noch den besorgten Ausdruck im Gesicht, kam sie zurück. Mit beiden Händen zog sie Efeuranken hinter sich her wie eine Schleppe.
»Wir haben den Windspielen zugehört«, sagte sie.»Wer wir?«, fragte Arthur. »Ich und meine Freunde.« »Haben die Freunde auch Namen, mein Schatz?« »Barklice«, antwortete sie, »und Bedwyn Stort.«
25
EIN WIEDERSEHEN
S tort?«
»Stort!?«
Als sie Judith den vertrauten Namen sagen hörten, empfanden Jack und Katherine eine Mischung aus Schrecken und Freude. Aber sie schwiegen aus Angst, ihre Tochter zu beunruhigen.
Arthur, der nicht minder überrascht war, begriff sofort, dass die beiden miteinander reden mussten. Unter einem Vorwand gingen er und Margaret mit Judith ins Haus und ließen sie draußen allein.
»Stort ist hier!?«, rief Jack aus. »Hier in Woolstone?«
»Anscheinend«, sagte Katherine.
Ihr erster Gedanke war, er sei gekommen, um zu erfahren, wie die Geburt verlaufen war, und um ihnen zu gratulieren.
Jack dachte weiter.
Stort hatte sich vor knapp einem Monat bei Devil’s Quoits von ihnen getrennt, um nach Brum zurückzukehren. Er hatte darauf gebrannt, seine vielen Freunde wiederzusehen, ihnen von seinen Erlebnissen zu berichten und die frohe Kunde von Katherines Schwangerschaft zu überbringen. Nur um sie zu beglückwünschen, wäre er nicht so schnell wieder abgereist und hätte einen so langen Weg auf sich genommen. Nein, sein Kommen musste einen anderen Grund haben, und wenn Barklice ihn begleitete, musste es ein offizieller Grund sein.
»Wie ich Festoon kenne«, sagte er, »hat er Barklice mitgeschickt, weil er sichergehen wollte, dass Stort auch wirklich hier ankommt, und zwar bald. Es muss sich um etwas Dringendes handeln. Vielleicht ist etwas vorgefallen.«
Katherine blickte besorgt.
»Sie können doch nicht erwarten, dass du Hals über Kopf nach Brum reist, wo wir gerade ein Kind bekommen haben ... oder?«
Sie wollte beruhigt werden.
»Möglich ist es schon, sogar wahrscheinlich, denn Kinder spielen im Denken der Leute, die wir in Brum kennen, keine große Rolle. Wenn man einmal von Pike absieht.«
Er nahm sie in die Arme und küsste sie.
Ihm war, als hätte er das schon eine ganze Weile nicht mehr getan. Es küsste sie noch einmal. Sie sprachen später weiter, draußen im Dunkeln.
»Aber ich gehe nicht nach Brum zurück, ich bleibe hier bei dir und Judith. Es kann nichts Wichtigeres geben, gerade jetzt, da sie so wächst. Sie verändert sich mit jedem Tag, und mir ist klargeworden, wie kostbar diese Zeit ist. Aber ...«
Er blickte zum Henge, das dunkel und geheimnisvoll in der Nacht lag. Da brach der Mond durch die Wolken, groß und beinahe voll.
»Stell dir vor, Stort ist da hinten und ...«
Sie schmiegte sich an ihn. »Du willst zu ihm gehen und mit ihm sprechen, nicht wahr?«
»Ja, natürlich. Er ist unser bester Freund. Ich habe einiges mit ihm zu bereden, unabhängig vom Grund seines Kommens. Und ich wette, du
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