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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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einjagte. Aber die Skier bewahrten uns davor, durch die dünne Schneebrücke in die Tiefe zu stürzen. Zwar waren wir knapp davor, umzukehren – entschieden uns aber dagegen, da uns dieser Weg trotz aller Gefahren sicherer erschien, als entlang der Steilküste zu gehen, die drohend zum Meer abfiel.
    Alles ging gut, bis zu jenem Zeitpunkt, da ein dumpfes Krachen über die Ebene hallte. Mit angehaltenem Atem sah ich nach vorne. Das Eis unter Hansens Schlitten gab nach. Zuerst versanken die Hunde, danach kippte das Gefährt in den Abgrund. Hansen brüllte um Hilfe. Im nächsten Moment wurde er zu Boden gerissen und rutschte auf die Gletscherspalte zu. In Panik versuchte er, das Seil zu kappen, das ihn mit dem Schlitten verband. Als er befreit zur Seite rollte, verschwand das Gespann in der Tiefe. Aber noch hing der Rest von uns mit den beiden anderen Schlitten an dem Seil. Vom Gewicht des ersten Gefährts gestrafft, schnitten die Zugleinen immer schneller durch die Eisdecke. Mit Entsetzen sah ich das Seil durch den Schnee auf mich zurasen.
    »Bindet euch los!« brüllte Hansen.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die anderen bereits ihre Seile kappten. Nun begann auch ich mit dem Messer in meinen Strick zu schneiden – viel zu hastig und unkoordiniert. Er wollte sich nicht aufspindeln. In Panik sägte ich daran, rutschte ab und schnitt mir ins Handgelenk. Schließlich riß das Seil unter dem Zug und ich wurde zurückgeschleudert. Während ich mich aufrappelte, griffen die Männer nach dem Tau und stemmten sich mit den Füßen in den Schnee, um den Zug zu stoppen, damit die anderen Schlitten nicht ebenso in dem Spalt verschwanden. Dabei stolperte Vanger und geriet mit den Beinen unter die Taue. Er brüllte auf. Sein Schrei ging mir durch Mark und Bein. Die verdammten Seile würden ihm die Beine durchtrennen. Es gab keine andere Möglichkeit, ich mußte sie kappen, auch wenn wir dadurch das erste Gespann verloren.
    Während Vanger schrie, rannte ich nach vorne, warf mich auf den Bauch und rutschte zum Rand des Lochs. Hansens Schlitten hing vollends über dem Abgrund. Darunter baumelten die Hunde in ihrem Geschirr. Kiste um Kiste löste sich aus der Verankerung und fiel in die Gletscherspalte. Die Hunde heulten ängstlich auf. Ich sah, wie Samson mit den Vorderbeinen an der Wand scharrte, aus dem Geschirr glitt und jaulend in die Tiefe stürzte. Tränen schossen mir in die Augen. Trotzdem setzte ich das Messer an und sägte hastig an dem Seil.
    »Schneller!« Hansen lag neben mir auf dem Bauch und durchtrennte die andere Leine. Als die Taue gleichzeitig schnalzten, fiel der Schlitten mitsamt den Hunden in die Tiefe.
    Im nächsten Augenblick gab die Schneedecke unter mir nach. Ich bekam Übergewicht und drohte ebenso hinunterzufallen. Doch jemand packte mich an den Beinen und zog mich zurück. Christianson! Der hochgewachsene Schwede half mir auf.
    »Vanger!« sagte er nur mit einem entsetzten Blick.
    Sogleich lief ich zurück, um die Verletzung des Norwegers zu untersuchen. Er lag in einer Blutlache im Schnee und brüllte sich die Seele aus dem Leib. Christianson rannte ebenfalls herbei, um Vanger ruhigzuhalten, während ich seine Hose aufschnitt. Der Mann hatte durch die Seile schwere Quetschungen und Verbrennungen an den Oberschenkeln erlitten. Auch wenn wir seit dem Morgen nur einen Kilometer zurückgelegt hatten, in diesem Zustand konnten wir unmöglich weitergehen.
    »Wir errichten das Lager«, rief ich Hansen zu. Dieser begann bereits, die Hunde zu beruhigen und die beiden Schlitten von der Einbruchstelle wegzuführen.
    Eine halbe Stunde später stand das kleine Notzelt etwa hundert Meter von der Gletscherspalte entfernt. Besorgt betrachtete ich meine Kameraden im Schein der Öllampe. Christianson ließ seinen Walfischknochen durch die langen, dünnen Finger gleiten und murmelte etwas auf Schwedisch, das nach einem Gebet klang, während Hansen eine Suppe kochte.
    Vanger, eingehüllt im Schlafsack, die Beine bandagiert, war bleich und konnte keine Nahrung bei sich behalten. Gewiß hatte er sich beim Sturz eine schlimme Gehirnerschütterung zugezogen. In diesem Zustand würde er einige Tage nicht gehen, ja sich nicht einmal aufrecht auf dem Schlitten halten können.
    »Vanger muß sich auskurieren. Wir werden uns zwei Tage an Ort und Stelle aufhalten«, entschied ich. Niemand widersprach.
    Die Männer hatten begriffen, daß unser Ziel, die Insel zu umrunden, längst nicht mehr an erster Stelle stand. Das Wohl der

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