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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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dieser Bucht festsitzen – oder zumindest so lange, bis unsere Vorräte völlig aufgebraucht waren. »Ich schlage vor, wir ruhen uns heute aus und riskieren es morgen.«
    Hansen nickte.
    Später besprachen wir unser Vorhaben mit den Männern. Niemand erhob Einspruch. Also gingen wir früh zu Bett, um für den nächsten Tag ausgeruht zu sein. Allerdings verlief die Nacht anders als erhofft. Um ein Uhr früh wurde Harpun von schweren Fieberschauern geschüttelt.
    »Mein Kopf ist so schwer«, jammerte er, ehe ihm wieder die Augen zufielen.
    Ich hüllte ihn in warme Decken, gab ihm zu Essen und zu Trinken, doch der Hundeführer hustete so stark, daß er fast alles erbrach. Sein Zustand gefiel mir nicht. Ich untersuchte ihn so gut ich konnte, wußte aber nicht weiter, da mir die nötigen Instrumente und Medikamente fehlten. Neben Unterernährung und Skorbut litt Harpun nun – wie es schien – auch an Herz- und Lungenbeschwerden. Ich mischte ihm zwei Morphiumtabletten in den Tee, mehr konnte ich hier draußen nicht für ihn tun. Gegen drei Uhr früh schlief er endlich ein. Ich wachte noch eine Weile an seiner Seite, trocknete seine Stirn, versuchte seine Alp- und Fieberträume zu vertreiben und mußte etwa eine Stunde später ebenfalls eingeschlafen sein.
     
    *
     
    Am nächsten Morgen war Harpun tot. Ich entdeckte ihn zuerst, als ich benommen und völlig mechanisch seine Decke zurückschlagen wollte, um seinen Puls zu fühlen. Doch das war nicht mehr nötig. Harpuns Augen und Mund standen offen. Sein Körper war bereits seit Stunden ausgekühlt, und eine wächserne Totenblässe prägte sein Antlitz. Als ich neben seinem Leichnam kniete und ihn anstarrte, stieg Panik in mir hoch. Der Norweger war direkt neben mir, kraftlos und auf dem Rücken liegend, in seinem Schlafsack an Erbrochenem erstickt. Hätte ich Harpun doch gestern abend nicht zum Essen gezwungen, würde er jetzt noch leben – waren meine einzigen Gedanken. Was war ich doch für ein elender Arzt! Ich konnte nicht einmal meine eigenen Männer vor dem Tod bewahren. Ich biß mir auf die Lippen, konnte aber die Tränen nicht unterdrücken. Immer wieder hielt ich mir vor, daß Harpun noch am Leben sein könnte – daß es meine Schuld war – bis ich würgen mußte.
    Ich brauchte frische Luft. Eilig stürzte ich nach draußen und rannte zur Küste, wo ich im Schnee versank und mein Gesicht in den Händen vergrub. Ich malte mir aus, wie Harpun wieder gesund geworden wäre, hätte ich ihn doch nur schlafen lassen. Das Wetter hätte sich gebessert, wir wären zu fünft zum Plateau und zurück ans Meer marschiert, von wo es weiter nach Norden ging. Ich brauchte Harpun als Hundeführer! Wer sollte Samson nun antreiben, die restlichen Huskies versorgen und zusammenhalten? Ich hatte versagt. Diesen Tod mußte ich verantworten!
    Ich wußte nicht mehr, wie lange ich im Freien hockte, weder Wind noch Kälte spürte, mir die Seele aus dem Leib schrie und schließlich mit dem Gesicht voran in den Schnee fiel. Christianson fand mich und brachte mich stark unterkühlt ins Zelt zurück, wo mir Hansen eine Tasse Tee brühte. Dort war die bedrückte Stimmung der Männer körperlich spürbar.
    »Wir begraben ihn am Ufer des Fjords«, schlug der Schwede vor.
    Ohne eine warme Mahlzeit im Magen, unausgeschlafen und von den Ereignissen niedergeschmettert gingen wir nach draußen, die Küste entlang, bis wir eine Stelle mit festem Boden unter den Füßen fanden. Etwa fünfzig Meter vom Wasser entfernt hoben wir das Grab aus, allerdings nicht besonders tief, da die Erde gefroren war. Wir begruben Harpun mit seiner Axt, an der immer noch Robben- und Hundeblut klebte, und dem Revolver im Lederbeutel, auf den der Norweger so stolz gewesen war. Darüber häuften wir vom Meerschaum weiß gewaschene Steine zu einem Hügel. Hansen zimmerte ein einfaches Kreuz aus zwei Holzbrettern, die wir von einem Schlitten abmontierten. In den Querbalken ritzte ich das heutige Datum, den 17. November 1911, darunter Harpuns Namen. Da fiel mir ein, daß ich seinen richtigen gar nicht kannte. Anschließend gewährten wir ihm die letzte Ehre, indem wir einen Mast ins Eis rammten, an dem Vanger die norwegische Flagge hißte.
    Während wir um das Grab standen, die Köpfe gebeugt, sagte Vanger einige Worte in seiner Landessprache, doch ich hörte nicht zu. Mit fürchterlichen Magenschmerzen starrte ich auf den Steinhügel und wußte, daß ich Schuld an diesem Tod trug. Da Ärzte in ihrer Laufbahn oftmals

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