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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Hochplateau.
    »Ich komme runter«, entschied Anderson. »Wir rudern noch mal an Land und steigen auf das Plateau.« Er schwang sich über die Reling.
    Stunden später fanden die Matrosen auf der Anhöhe ein halb zugewehtes Vorratszelt mit zwei beinahe erfrorenen Männern.
     
    *
     
    Das alles hatte mir Kapitän Anderson berichtet. Als die Skagerrak noch am selben Abend auslief und Kurs auf die Küste Grönlands nahm, befand ich mich in meiner alten Kabine unter Deck.
    »Berger braucht Ruhe«, hörte ich die Stimme des Kapitäns vor meiner Tür, wo er zu den neugierigen Männern sprach. Ihre Schritte entfernten sich. Völlig erschöpft lag ich allein in meiner Koje, und schon bald hörte ich das vertraute Getrampel an Deck.
    Jan Hansen hatte nichts von unserer Rettung mitbekommen. Er schlief in der Koje nebenan. Genauso wie ich war er ausgezehrt, litt an Erfrierungen und Unterernährung. Doch im Gegensatz zu mir war er nicht bei Sinnen. Er war innerhalb der letzten beiden Tage auf dem Plateau schneeblind geworden und fieberte so stark, daß mich die Sorge um ihn beinahe um den Verstand brachte. Doch bei Doc Travis war er in guten Händen. Der Schiffsarzt hatte im Lauf der Jahrzehnte mehr medizinische Erfahrung gesammelt als ich während meiner Zeit an der Fakultät oder in der Praxis meines Vaters. Allerdings wußte er nicht, ob er Hansens linkes Bein retten konnte, in das sich die beißende Kälte bis zum Knochen gefressen hatte. Nur zu gern hätte ich mit Hansen getauscht und seine Leiden auf mich genommen. Aber ironischerweise erging es mir – der uns die Misere eingebrockt hatte – am besten. Obwohl mir leichtes Fieber zu schaffen machte, war ich bei klarem Verstand. Unmittelbar nach unserer Rettung hatte ich dem Kapitän von Vangers Schicksal erzählt, der mit einer Gehirnerschütterung und dürftig bekleidet in den Blizzard gelaufen war. Zwar hatten die Matrosen vor unserem Aufbruch die Teufelsebene abgesucht, aber keine Spur von ihm oder den Huskies gefunden. Anscheinend war Vanger während des Sturms tatsächlich in eine Gletscherspalte oder über die Steilküste ins Meer gestürzt. Danach gab es nur noch von Harpuns und Christiansons tragischem Tod zu berichten. Da Hansen fieberte, erwähnte ich den Schacht mit keinem Wort. Bevor zu viele Fragen über Christiansons Verbleib auftauchten, gab ich vor, mich von den Strapazen erholen zu müssen und zog mich in meine Kabine zurück, wo ich nun lag.
    Als das Schiff auf dem offenen Meer zu Schlingern begann, erhob ich mich aus dem Bett und zog den Vorhang zur Seite. Der Mond leuchtet durch das Bullauge. Wie ein Silberteller spiegelte er sich auf dem Wasser. Von der Insel war weit und breit nichts mehr zu sehen. Ich öffnete das Schreibpult, um es nach Feder und Papier zu durchsuchen. Danach setzte ich mich an den Tisch. Die Öllampe flackerte, schwang wie ein Pendel an der Kajütendecke, und es roch nach Salzwasser und Frost. Mit zittriger Hand verfaßte ich die ersten Briefe, die ich nach Wien aufgeben wollte, sobald wir das norwegische Festland erreicht hatten. Je länger ich schrieb, meine vagen Gedanken in konkrete Worte faßte, desto mehr gelangte ich zu der Gewißheit, daß wir etwas Großes entdeckt hatten. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch nicht an Fügung oder Schicksal, doch heute weiß ich, daß es kein Zufall war, daß uns mitten auf dem Eisplateau dieser weiten, rauhen und zerklüfteten Insel die Schneedecke unter den Füßen weggebrochen war, um einen Schacht ans Tageslicht zu fördern.
    Die Stunden vergingen, und ich kam zu einer klaren Entscheidung. Meine kurze Botschaft an Kathi Bloom, jener letzte Brief, den ich verfaßte, endete mit den Worten: »Ich bin wohlauf und suche nach Abenteuern und neuen Herausforderungen.«



 
SECHSTES KAPITEL
     
     
    A ls meine Finger eiskalt wurden, klappte ich das Tagebuch zu und steckte es in die Tasche. Für heute hatte ich genug geschrieben. Die letzte Eintragung lag Wochen zurück, aber an diesem neunten März hatte ich endlich die Zeit gefunden, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
    Ich stand auf dem Eisplateau, den Kragen der Rentierjacke aufgestellt, mit Mütze und festen Stiefeln bekleidet, die Hände in den Hosentaschen und blickte über die Steilklippe in die Walroßbucht. Für einen Moment schloß ich die Augen. Die Sonne wärmte mein Gesicht. Was für ein idyllischer Ort. Ich roch das Salzwasser sogar noch hier oben und spürte die Brise wie ein Streicheln auf der Haut.
    Eine Möwe

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