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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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überquerte kreischend den Hornsundet-Fjord und ließ sich entlang der Klippen zum Meer hinunterfallen. Mittlerweile wußten Hansen und ich, daß der Höhenunterschied zum Meer etwas über vierhundertsiebzig Meter betrug. Innerhalb des letzten Monats hatten wir die Serpentinen, die von der Küste zum Plateau führten, zu einem begehbaren Weg erweitert und auf der Teufelsebene, wie Hansen diesen Ort immer noch nannte, ein Basislager errichtet. Dieses Fleckchen Erde war zu unserer zweiten Heimat geworden. Hier waren wir so knapp dem Tod entronnen, daß ich die Rettung durch Kapitän Anderson als Wiedergeburt bezeichnete. Ich war noch immer nicht tief religiös, so wie der Kapitän, aber die Ereignisse hatten mich zu einem anderen Menschen werden lassen. Als ich im Dezember bei meiner Rückkehr nach Wien der Bühnenschauspielerin Kathi Bloom gegenüberstand, war ich nicht länger der junge Grünschnabel, sondern ernster und nachdenklicher geworden – zudem hatte ich mir einen Schnurrbart wachsen lassen, wodurch ich älter wirkte. Zweifelsohne hatten mich die Wochen im Eis und an Bord des Schiffes verändert. Seither betrachtete ich jeden Tag als ein neues Geschenk.
    Nachdem ich den Winter mit Kathi Bloom verbracht hatte, folgte die Zeit der Trennung – dieses Mal für länger, da ich von nun an ohne Unterbrechung auf Spitzbergen stationiert sein wollte. Die Entscheidung war mir nicht leicht gefallen, aber das Opfer mußte gebracht werden, wollte ich auf der Insel etwas voranbringen. So kehrte ich der Arztpraxis meines Vaters für immer den Rücken, um ein neues Leben mit neuen Herausforderungen zu beginnen. Ich merkte rasch, wie viel Energie daran hing, als die Arbeit von Tag zu Tag mehr wurde. Obwohl ich mir vornahm, regelmäßig und ausführlich in die Heimat zu schreiben, wurden meine Briefe an Kathi immer kürzer. Seit wir die Station auf dem Plateau errichtet hatten, kam Kapitän Anderson auf seiner Route von Tromsø über Ostgrönland und Island jede zweite Woche zu diesem entlegenen Ort. Schon übermorgen würde die Skagerrak erneut in der Bucht anlegen, um frischen Proviant und Nachrichten aus Wien zu bringen. Ich konnte es kaum erwarten, Fräulein Blooms parfümiertes Briefpapier zu riechen und ihre Zeilen über das Wiener Theater, die Cafes und Salons zu lesen. In Wien war ich ein Held, wie sie mir schrieb: Alexander Berger, der den mysteriösen Schacht im Eis der Arktis entdeckt hatte und mit seinen Männern erforschen würde. Es verging kein Tag, da ich nicht Gesprächsthema in den Clubs oder an einem Dinnerabend war – zum Ärgernis meines Vaters, in dessen Augen ich zu einem verblendeten Herumtreiber verkommen war. Aber nicht nur das: Er versuchte alles, um dieses Unternehmen zunichte zu machen, doch er würde sich die Zähne ausbeißen – Hansen und ich hatten mit der Technischen Fakultät in Wien einen finanzkräftigen Partner gefunden, der uns nicht im Stich lassen würde.
    Mittlerweile hatte ich die Möwe aus den Augen verloren. Ich wandte mich von der Klippe ab und kehrte zum Basislager zurück, wo jede Menge Arbeit auf mich wartete. Die Zimmerleute – ein Haufen rauher Isländer – hausten in großen grünen Zelten in einer windgeschützten Senke auf dem Plateau. Kapitän Anderson hatte uns die Männer vermittelt. Obwohl sie nur einen geringen Lohn verlangten, arbeiteten sie gewissenhaft und tüchtig, als hätten sie ihr Lebtag nichts anderes getan, als wetterfeste Hütten aufzustellen. Mittlerweile hatten sie das meiste Bauholz und die restlichen Materialien mit Schlittenhunden vom Ufer herbeigeschafft. Der Bauplatz für die Hütte war bereits vor einem Monat geebnet worden, so daß die Errichtung der Station rasant voranschritt. Sie lag wie eine kleine Siedlung vor mir. Aus den Hütten drang lautes Hämmern. Der erste Fußboden wurde gelegt, und noch heute sollte eine Filzlage darüber kommen, eine zweite Verdielung und schließlich Linoleum.
    Die Isländer karrten soeben vulkanischen Sand mit Schubkarren heran, den sie rings um die Hütten anhäuften, damit weder Zugluft eindringen noch Wärme entweichen konnte. Obwohl Hansen anfänglich dagegen war, hatte ich dafür gesorgt, daß wir das Dach und jede Seitenwand dreifach mit Brettern verschalten und mit Seegras isolierten. Es war unglaublich, wie wenig ich vor Wochen noch über das Leben hier draußen gewußt hatte und wie viel ich als ehemaliger Arzt noch dazulernen mußte. Um so stolzer war ich auf unsere Leistung, denn die Station sah

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