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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Durch den schmalen Korridor aus Leinwand erreichten wir das Notzelt. Es war weder wasserdicht noch windfest, aber im Moment stand uns nichts Besseres zur Verfügung. Doch das war längst nicht alles. Unsere Stiefel waren ebenso verschwunden wie unsere Decken, Mäntel und Schlafsäcke. Wir schlüpften aus den nassen Socken und kauerten uns zitternd aneinander. Irgendwie mußten wir die Nacht überstehen.
     
    *
     
    Sobald der Morgen graute und sich der Sturm ein wenig gelegt hatte, schnürten wir uns behelfsmäßig Stoffreste um die Füße, um auf dem Schnee gehen zu können. Zuerst zerlegten wir den Verbindungstunnel. Danach errichteten wir einen Windschutz aus Segeltuch um das Notzelt, das wir mit allem verstärkten, was uns geblieben war: Skiern, Stöcken, Säcken und Kisten. Darüber spannten wir einen doppelten Leinwandstreifen als Dach. Wir hatten nur eine einzige Proviantkiste retten können. Darüber hinaus befanden wir uns in einem erbärmlichen Zustand. Unsere Füße waren erfroren, um die Hände stand es nicht besser. In dieser Lage würden wir es nicht einmal bis zur Küste am Ende des Fjords schaffen, geschweige denn bis zu unserem Ausgangspunkt. Sollte es hier und so enden?
    Während am Nachmittag ein neuerlicher schwerer Blizzard tobte, rationierte ich unsere Vorräte: ein halber Liter Kondensmilch, wenige Dörräpfel und drei Pfund Fleischextrakt. Der Rest war in dem Loch verschwunden. Dieser verdammte Schacht hatte alles verschlungen! Panik ergriff mich. Bei äußerster Sparsamkeit konnte man mit den Lebensmitteln gerade mal zehn Suppen zubereiten – und das bedeutete, das Leben um zehn weitere Tage zu verlängern.
     
    *
     
    Am nächsten Morgen fror die Flüssigkeit im Spiritusthermometer, und der Kompaß wurde unbrauchbar. Gewiß betrug die Temperatur weniger als sechsunddreißig Grad minus – und das bedeutete den kältesten Tag bisher. Merkwürdigerweise blieb das Petroleum in den Behältern flüssig. In dieser Zeit, die wir nur mit Abwarten verbringen konnten, gab es nichts weiter zu tun, als zu lesen, essen oder zu schlafen. Von den Huskies fehlte jede Spur. Ab und zu schrieb ich meine Gedanken in das Tagebuch, während Hansen lustlos auf seinem Banjo spielte, um seine Finger in Bewegung zu halten. Zu Mittag teilten wir die letzte Schokolade.
    Am Abend kauerte ich mich in die Nähe des Primuskochers, wo ich gedankenverloren durch die Tagebuchseiten blätterte. Eine innere quälende Stimme trieb mich dazu, die einzelnen Stationen unseres Mißerfolgs Revue passieren zu lassen. Nicht nur, daß ich mein gesamtes Privatvermögen dieser Reise geopfert hatte, der Verlag würde uns – falls wir überhaupt mit dem Leben davonkamen – keinen Heller für eine Karte bezahlen, die nach hundertfünfzehn Kilometern abbrach – im Gegenteil. Ich würde den Vorschuß zurückzahlen müssen und steckte bis zum Hals in Schulden. Doch was bedeutete schon ein Haufen Schulden, wenn einem der Hunger- oder Kältetod bevorstand?
    »In drei Monaten wollten wir die Insel umrunden«, murmelte ich. »Aber was haben wir erreicht? Nicht einmal zwei Wochen haben wir durchgehalten.«
    Hansen zuckte mit den Achseln, als sei ihm die Niederlage gleichgültig. »Wenn man das immer so wüßte! Wie geht es wohl den anderen am Südpol? Glaubst du, Scott und Amundsen haben Erfolg? Falls ja, hätten sie uns sowieso den Ruhm streitig gemacht. Ihre Entdeckung zählt viel mehr als unsere lächerliche Karte.«
    Ihre Entdeckung! Ich dachte über Hansens Worte nach, die mich auf eine Idee brachten. »Auch hier gibt es etwas zu entdecken.«
    »Was denn?«
    Ich antwortete nicht, legte das Buch beiseite und raffte mich auf. Gegen Hansens Willen bastelte ich aus einem Skistock, den ich mit Stoffresten umwickelte und mit Petroleum tränkte, eine Fackel. Damit kroch ich ins Freie. Vorsichtig schob ich mich auf dem Bauch zu dem Abgrund. Ich starrte sicher mehrere Minuten in dieses abgrundtief schwarze Loch, das schuld daran war, daß wir hier draußen elend krepieren würden. Aber wenn ich schon sterben sollte, wollte ich zumindest wissen, was mir dieses Schicksal beschert hatte. Eine flüchtige Erforschung würde ausreichen, um Gewißheit zu erlangen. Ich zündete die Fackel an und warf sie über den Rand in den Schacht. Sie fiel, fiel und fiel, bis ich das Licht nicht mehr sehen konnte. Ich hatte neun Sekunden gezählt. Während ich im Schnee lag, in die Dunkelheit starrte und mich die Kälte auffraß, rechnete ich nach. Nach dem Gesetz des

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