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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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in fünf Komma fünf Kilometer Tiefe ergab zweitausend Millibar, also eine exakte Verdopplung. Das Ziel der Wissenschaft ist es, die Komplexität der Welt auf simple Regeln zu reduzieren. Demnach würde eine Tiefe von vierundvierzig Kilometern, bei gleichbleibendem Wachstum, einen Druck von sechzehntausend Millibar ergeben.«
    Ich rechnete im Kopf nach, doch erschien mir seine Erklärung nicht schlüssig. »Die geringer werdende Schwerkraft müßte doch bewirken, daß der Druck in tieferen Regionen nur noch unwesentlich zunimmt. Die Temperaturzunahme hätte einen ähnlichen Effekt.«
    Brehm sah mich mit großen Augen an. »Teufel, Sie haben recht! Das könnte die Erklärung für die geringe Abweichung in sechs Kilometern Tiefe sein.« Eilig machte er sich einige Notizen.
    »Womit glauben Sie, haben wir es hier zu tun?« fragte ich.
    Brehm hielt inne und warf mir einen kurzen Blick über den Rand seiner Brille zu. Dann sah er zu den Gesteinsproben in den Reagenzgläsern. »Das Material läßt sich nicht in das Periodensystem einordnen. Das Element befindet sich außerhalb aller bekannten chemischen Eigenschaften …« Er zögerte. Dabei musterte er mich, als wäge er ab, ob er weitersprechen solle oder nicht. »Es verändert seine Masse«, sagte er schließlich.
    »Oder Ihre Instrumente funktionieren nicht richtig.«
    »Meine Instrumente sind getestet«, widersprach er, was aber weder feindselig noch entrüstet klang. »Der Schacht ist es, der nicht richtig funktioniert. Er verändert seine Eigenschaften. Beispielsweise läßt er keine magnetischen Messungen zu. Das Magnetfeld kehrt sich alle fünfhundert Meter um. Dort unten funktioniert kein Kompaß. Die Nadel treibt ein Spiel mit uns. Sie führt uns in die Irre. Aber nicht nur das. Auch das Wasser rotiert entgegen den physikalischen Gesetzen in die andere Richtung.«
    Ich nickte. Dieses Phänomen hatte ich bereits im Vorjahr festgestellt, als uns die Schneedecke mitsamt dem Zelt unter den Füßen weggebrochen war.
    »Wie tief – glauben Sie – reicht der Schacht?« fragte ich.
    »Das versuche ich morgen herauszufinden. Neben all diesen Kuriositäten, die der Schacht für uns bereithält, beschäftigt mich eine Sache am meisten.« Brehm machte eine Pause. »Französische Geologen vermuten, die Erdkruste bestehe aus mehreren Platten. Im Bereich der Kontinente sollen sie etwa fünfzig Kilometer dick sein, im Bereich der Ozeane bloß fünf Kilometer. Allerdings fließt aus unserem Schacht kein Magma. Vorausgesetzt, er reicht mehr als fünfzig Kilometer tief ins Erdinnere – das ist natürlich rein spekulativ – aber angenommen, es ist so … was befindet sich darunter?« Er sah mich mit großen Augen an. Durch die Brillengläser wirkte er wie eine Eule.
    Plötzlich mußte ich an die Vogelnester denken.
    »Haben Sie die Brutstätten im Fels bemerkt?«
    »Ein weiteres Phänomen, das sich in die Liste der Kuriositäten einreiht«, kommentierte Brehm. Er betrachtete mich, als wolle er abwägen, ob er mir vertrauen könne, ob ich ein Verbündeter sei, der – genauso wie er – die Rätsel des Schachts lösen wollte. »Sie scheinen ein vernünftiger junger Mann zu sein.« Plötzlich griff er nach einem Buch und schlug es gezielt an einer Seite auf, die eine Karte von Südamerika zeigte.
    »Wir befinden uns in der Arktis, dem Reich der Götter, wie sie von den Isländern genannt wird, wo die Sonne nur einmal pro Jahr versinkt und sich wieder erhebt – ein mystischer Ort, wenn Sie so wollen.« Er atmete tief durch. »Es gibt diese Theorie, daß die Erde an manchen Stellen hohl sei, daß wir auf einer Schale leben, in der sich zahllose Gänge und Höhlensysteme befinden, durch die man ins Innere gelangen kann.«
    Ich schielte zu dem aufgeklappten Globus, enthielt mich jedoch jeden Kommentars.
    »Der Astronom Edmund Halley stellte diese Theorie zum ersten Mal im achtzehnten Jahrhundert auf. Helena Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, soll sogar über eine Karte verfügen, die bestimmte Zugänge durch Höhlen in Peru zeigt. Es gibt Legenden, daß sich derartige Tunnel und Stollen auch in Ecuador befinden und …«
    »An diesen Schwachsinn glauben Sie?« unterbrach ich ihn.
    Brehm zuckte für einen Augenblick zusammen, da er bemerkte, in welche Euphorie er sich gesteigert hatte. »Ich bin ein Mann der Wissenschaft und gebe Ihnen grundsätzlich recht, doch halten Sie mich nicht für verrückt, wenn ich Ihnen folgendes erzähle: 1901 wollten Geologen im

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