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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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sobald der unerklärliche Luftzug etwas nachließ. Mit jedem Atemzug wurde mir heißer, und mit jedem Schweißtropfen, der meinen Rücken hinunterlief, schnürte ein Engegefühl meine Kehle weiter zu. An meinen Fingerkuppen haftete die Absonderung des Schachts, die ich nicht abwischen konnte.
    Ständig sah ich auf die Uhr. Die Zeiger schienen festzukleben, und Brehm nahm ich nur noch als undeutlichen Schemen wahr, der sich in dem Käfig auf und ab bewegte. Ich fragte mich, wie ich die nächsten zwei Stunden überstehen sollte, bis Hansen endlich die Seilwinde in Gang setzte. Plötzlich wurden meine Hände eiskalt und begannen zu zittern. Ich ballte sie zu Fäusten. Bloß keine Panikattacke! Nicht so weit unten, nicht vor Brehm, und vor allem nicht jetzt, wo wir gerade mit der Arbeit begonnen hatten. Ich durfte mir vor dem Deutschen keine Blöße geben.
    Unauffällig wandte ich mich ab und versuchte, tief durchzuatmen, bekam aber keine Luft. Ich fühlte mich eingesperrt. Der verdammte Schwefelgestank!
    Ein Schwall Magensäure schoß mir in den Rachen. Ich mußte dringend nach oben, ans Tageslicht, frische Luft schnappen. Ich wollte in weiten Schritten über das Plateau laufen, die Brandung des Fjords hören, das Salzwasser auf den Lippen spüren, in den blauen Himmel blicken und mit dem Gesicht voran in den Schnee sinken – aber um Himmels willen raus aus diesem finsteren Loch! Die Wände kamen näher, wurden immer enger. Ich wollte nicht hier unten in diesem engen Schacht verrecken! Wenn die Winde brach, das Seil riß, der Käfig abstürzte oder sich in einem der Rollbügel verkeilte, würden wir für immer in dieser Finsternis feststecken und niemals, niemals …
    »Beruhigen Sie sich!« Brehm packte mich an der Schulter.
    »Was?« Mein Gaumen war staubtrocken.
    Brehm reichte mir die Wasserflasche. »Mein Gott, Berger! Sie schwitzen. Trinken Sie einen Schluck. Hier unten dehydriert man rasch.«
    Mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Mein Rücken war ebenso schweißgebadet. Schüttelfrost erfaßte mich. Während ich auf eine Kiste sank, legte mir Brehm die Hand auf die Schulter – eine intime Geste, die ich nicht erwartet hätte.
    »Geht es wieder?«
    »Ein vorübergehendes Schwindelgefühl«, flüsterte ich. Mit der Wasserflasche spülte ich den galligen Geschmack aus dem Mund.
    »Hier unten müssen Sie regelmäßig trinken.« Brehm dämmte das Licht der Öllampe auf ein kaum wahrnehmbares Flämmchen.
    »Wir warten einige Minuten, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben«, erklärte er mir.
    Nach einer Weile warf er die ersten Gegenstände ab: mit Bleizylinder beschwerte phosphoreszierende Glasbehälter in allen möglichen Farben. Er stoppte die Sekunden, in denen das Licht zu sehen war. Die beste Messung erhielten wir von einer gelben Gaskanüle. Ich notierte elf Komma acht Sekunden im Protokoll. Aber gleichgültig, was Brehm abwarf, nie bekamen wir einen Aufprall zu hören.
    »Glauben Sie, daß ein Wasser- oder Magmastrom alles verschlingt?« krächzte ich.
    »Unwahrscheinlich.« In seiner Stimme lag eine gewisse Bestimmtheit, die keinen Zweifel zuließ.
    »Woher wollen wir das wissen? Wir ahnen doch nicht einmal, wie tief der Schacht hinunterreicht.«
    »Noch nicht. Ich hatte gehofft, wir würden nicht darauf zurückgreifen müssen, aber wie es scheint, ist es unvermeidbar.« Nachdem Brehm die Lampe wieder heller gedreht hatte, kramte er einige ellenlange Stangen aus der Kiste. »Sprengsätze mit Zeitzünder«, erklärte er knapp. »Wir werden den Schall messen. In diesem Schacht kann er sich nur in zwei Richtungen ausdehnen.«
    Ich starrte in die Kiste. Mit diesem Vorrat hätten wir das gesamte Plateau in die Luft jagen können. »Sie wollen doch nicht hier unten diese Dynamitstangen zünden?«
    »Ich bitte Sie, das ist kein Dynamit, sondern ein völlig harmloser Sprengkörper, der lediglich einen ohrenbetäubenden Knall von sich gibt.«
    Da die mit Blei beschwerte phosphoreszierende Kanüle elf Komma acht Sekunden zu sehen gewesen war, stellte Brehm den Zeitzünder auf fünfzehn Sekunden. »Sofern der Sprengsatz nicht vorher auf dem Boden aufschlägt, wird er siebenhundertfünfzig Meter unter uns detonieren.«
    Brehm warf einen Blick auf eine seiner Skalen. »Bei einer Temperatur von elf Grad benötigt der Schall für diese Entfernung exakt zwei Komma zwei Sekunden… wir werden sehen, ob er uns erreicht.«
    Fanatismus und Genialität traten oft

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