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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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die letzten drei überlebten, mußte ich handeln. Allerdings lag die Beweislast bei mir, und dafür benötigte ich die kompletten Unterlagen.
    Brehms Kammer glich einem Archiv, das ein Erdbeben verwüstet hatte. Der Globus stand inmitten von turmhohen Papierstapeln. Dutzende Akten, Notizzettel, Zeichnungen, Skalen, Listen, Dossiers und Tagebücher mit wirr eingetragenen Forschungsergebnissen quollen aus den Aktenschränken oder lagen auf dem Boden verstreut. Einerseits hatte ich bereits vor Tagen versucht, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, andererseits hatte ich nicht die Zeit, den gesamten Rest durchzusehen, um mich für die wichtigsten Dokumente zu entscheiden – also warf ich sämtliche Unterlagen und Photographien in eine große Seekiste. Aus dem Labor packte ich einige Gesteinsproben, Knochenfunde und die magnetischen Bänder mit den Tonaufnahmen dazu, dann verschloß ich den Deckel. Die Kiste wog an die dreißig Kilo. Da ich den rechten Arm nicht benutzen konnte, packte ich die Truhe mit der Linken am Griff und schleifte sie durch die Gänge zum Ausgang der Station. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Gjertsen im flackernden Schein der Petroleumlampen in den Schachtraum verschwand.
    »Seid ihr bald fertig?« rief ich ihm nach, erhielt jedoch keine Antwort. »Ich bin soweit, wir können in ein paar Minuten aufbrechen!« brüllte ich erneut.
    Hastig schleppte ich die Kiste weiter. Der Schweiß lief mir in Bächen über den Rücken. Als ich die Truhe neben dem Rucksack, den Decken und dem Zelt fallen ließ, flog die Eingangstür auf. Marit und Gjertsen stapften in die Station.
    »Was ist los?« fragte Gjertsen.
    Ich starrte ihn geistesabwesend an. Danach blickte ich in den Gang zum Schachtraum. In der Station war es totenstill. Nur die Flammen in den Lampen züngelten aufgeregt hoch und nieder und warfen lange Schatten an die Wände.
    »Ich bin soweit, wir können aufbrechen«, flüsterte ich. »Gjertsen, Sie bleiben hier und bewachen unsere Vorräte. Gehen Sie nicht ins Innere der Station! Marit und ich holen in der Zwischenzeit einen Schlitten aus der Werkstatt.«
    »Roy ist noch in Rönnes Kammer«, protestierte sie.
    »Den Hund holen wir später.«
    Wir marschierten los und zerrten den großen Hundeschlitten aus dem Schuppen. Noch wußte ich nicht, wie wir all unsere Sachen unterbringen sollten. Da wir nur einen Hund einspannen konnten, war an einen zweiten Schlitten nicht zu denken. Als wir vor dem Stationseingang ankamen und ich die Tür aufstieß, lag der Gang menschenleer vor mir. Unsere Vorräte waren unberührt, doch von Gjertsen fehlte jede Spur.
    »Nein, verflucht!« entfuhr es mir. »Ich sagte doch, er solle hier warten.«
    »Ich suche ihn.«
    »Nein!« Ich hinderte Marit daran, in die Station zu laufen. »Ich suche ihn. Sie packen den Schlitten. Und egal was passiert: Sie betreten unter keinen Umständen die Station, ist das klar?«
    »Aber Roy!«
    »Ich kümmere mich um den Hund.«
    Ich lief in den Gang. Instinktiv führte mich mein Weg zum Schachtraum.
    »Gjertsen?«
    Ich erhielt keine Antwort.
    Der Schachtraum glich einem Minenfeld. Dutzende Lunten lagen zwischen den Petroleumlampen, deren Licht nur noch spärlich flackerte. Da wir die Petroleumzufuhr voll aufgedreht hatten, ging langsam aber sicher der Brennstoff aus. An den Balken der tragenden Wände klebten mit Isolierband befestigte Dynamitstangen, in denen die Zündhütchen steckten. Zahlreiche weitere Lunten führten durch das Loch im Boden in den Schacht. Genaugenommen waren die Lunten unnötig. Wenn einmal eine Explosion die Station erschütterte, würde das Nitro in den anderen Stangen sofort explodieren. Eine Kettenreaktion von Detonationen würde die gesamte Station mitsamt dem Schacht in die Luft jagen und das Tor für immer verschließen … und was heute nacht aus ihm heraufgestiegen war, würde mit ihm vernichtet werden.
    Ich sah mich hastig im Raum um. Björns Leiche saß immer noch auf dem Stuhl, sonst konnte ich nichts Auffälliges feststellen. Ich wollte den Raum bereits wieder verlassen, als ich stutzte. Björn war doch während meiner Abwesenheit begraben worden.
    Mein Blick wanderte zurück zum Stuhl. Vorsichtig trat ich näher. Wer dort saß, war nicht der glatzköpfige Björn. Ich ging um eine Holzsäule herum und starrte auf den Toten, der verkrümmt auf dem Stuhl hockte. Gjertsen! Sein Kopf war auf den Rücken gedreht. Das Kinn lag exakt zwischen den Schulterblättern und seine Augen starrten den Rücken hinunter. Sein

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