Das Eulentor
Flucht ergreifen mußten. Als ich mit ihm die Kabine verlassen wollte, trat ein hagerer Schatten in den Türrahmen. Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück und stieß dabei die Petroleumlampe um. Roy verkroch sich sogleich hinter mir.
Der Schatten in der Tür bewegte sich nicht, sondern versperrte mir nur den Weg mit seinen langen Gliedmaßen. Es waren die Umrisse eines Menschen, halb nackt, mit Fetzen am Körper und wirren Haaren. Mehr konnte ich nicht erkennen. Ein grollendes Gurgeln drang aus seiner Kehle. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, schabte seine Haut am Türstock. Als die Flammen nach der Matratze und der Bettdecke züngelten, griff mich das Wesen mit ausgestreckten Armen an. Hastig wich ich einen weiteren Schritt zurück und stieß gegen den Tisch. Hinter mir schepperte das Bajonett. Unwillkürlich faßte ich danach und riß es nach vorne. Die Gestalt lief mir genau in die Klinge. Das Bajonett fraß sich wie durch eine warme Kartoffel in den Körper, bis das Metall zur Hälfte im Bauch der Gestalt steckte. Sogleich entwich der Wunde ein ohrenbetäubender Dampf. Gleichzeitig stieß die Kreatur unmenschliche Laute aus, die mir in den Ohren schmerzten. Roy jaulte verzweifelt auf und versuchte den Flammen zu entkommen, die mittlerweile das gesamte Bett erfaßt hatten. Im flackernden Schein sah ich, daß Gjertsen eine Dynamitstange am Türrahmen angebracht hatte. Innerhalb weniger Sekunden würde uns das Nitro in die Hölle blasen.
Obwohl das Wesen wie verrückt kreischte und ebenso wie ich versuchte, den Flammen auszuweichen, streckte es die Arme nach meiner Kehle aus. Der blanke Stahl saß in seinem Körper, trotzdem schien es nicht im Geringsten verletzt zu sein. Aber es fürchtete das Feuer. Im passenden Augenblick tauchte ich unter den langen Armen der Kreatur hindurch und jagte aus dem Raum. Der Husky folgte mir. Auf meinem Weg durch den Gang stolperte ich über eine Lunte und stieß mehrere Petroleumlampen um. Aber ich konnte mich nicht um die Flammen kümmern, die hinter mir zu lodern begannen. Als sei der Leibhaftige hinter mir her, stürzte ich durch die Eingangstür in den Schnee. Mir fehlte die Zeit, den Husky vor den Schlitten zu spannen, also legte ich mir das Geschirr kurzerhand selbst um die Schultern. Wie besessen stapfte ich los, an der Werkstatt und dem Hundezwinger vorbei und raus aus der Station. Ich ließ alles hinter mir. Mein Weg führte über die Teufelsebene zu den Serpentinen, die in die Bucht führten, während Roy neben mir herlief.
In weiter Ferne hörte ich das Splittern einer Holzwand, als breche etwas ins Freie. Ich sah mich um, konnte durch den Rauch aber nichts erkennen. Gierig schlugen bereits die Flammen aus den Fenstern der Station. Ein schreckliches Heulen übertönte das Knistern des Feuers. Ich wußte nicht, ob es vom Wind oder von der Bestie rührte. Kurz darauf erschütterte die erste Explosion das Plateau. Unmittelbar darauf folgten weitere Detonationen. Einige brennende Holztrümmer stürzten vor mir in den Schnee und verwandelten die nächtliche Eiswüste in ein Feld aus rauchenden Fackeln.
SECHZEHNTES KAPITEL
M ein Abstieg in die Bucht wurde von zahlreichen Explosionen begleitet. Bei jedem weiteren Krach zuckte ich mehr zusammen. Nicht nur wegen der hämmernden Kopfschmerzen, die mich seit meinem Erwachen quälten, sondern wegen des Drucks, der mehr und mehr auf meinem Herzen lastete. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, daß ich eines Tages mein eigenes Werk innerhalb einer einzigen Nacht in Schutt und Asche legen würde. Zum Glück mußte Hansen dieses traurige Kapitel nicht mehr miterleben. Dort, wo er sich jetzt befand, sollte er in Frieden ruhen.
Eine Stunde später erreichte ich erschöpft die Hütte am Steg. Ich brach das Schloß auf, errichtete mit Decken ein Lager für Marit und zerrte sie in den Schuppen. Den Rest der Verpflegung ließ ich vorerst draußen auf dem Schlitten. Zunächst mußte ich mich um das Mädchen kümmern. Mittlerweile war das Blut ihrer Wunde geronnen und hatte den Verband zu einer dicken Kruste verhärtet – ein gutes Zeichen. Spätestens morgen mußte ich den Verband wechseln, doch meine Arzttasche lag begraben unter den Trümmern der Station. Wir hatten nicht einmal eine schmerzstillende Tablette. Ich konnte nur hoffen, daß Kapitän Anderson den Fjord rechtzeitig erreichte, um an die Apotheke des Schiffsarztes ranzukommen, die ich für Marit dringend benötigte. In der Zwischenzeit brauchte sie
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