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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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dem einzigen Überlebenden einer ungeheuren Katastrophe gemacht, die um das Jahr 7500 vor Christus die Welt heimgesucht hatte, eine gewaltige Flut, die alles Land bedeckte.
    Den bei Ninive gefundenen Tontafeln zufolge soll der sumerische Gott Ea unmittelbar vor der Katastrophe einen gewissen Utnapischtim auf die bevorstehende Heimsuchung hingewiesen haben, worauf dieser, wie ihm von Ea geboten, ein Schiff von gewaltiger Größe gebaut und jeweils ein Paar aller auf der Erde lebenden Tiere sowie je ein Samenkorn von allen Pflanzen dorthin gebracht hatte, die es auf der Welt gab. Maria spürt, wie sich ihre Kehle zusammenschnürt. Was dort beschrieben wurde, war nichts anderes als die Sintflut, die wir aus dem Alten Testament kennen, die Arche, auf der Noah die Tiere vor dem Zorn Gottes rettet, der Bericht von der Morgenröte unserer Welt.
    Fieberhaft blättert sie das nächste Werk durch. Es ist eine Übersetzung des Satapatha Brahtnana, eines der neun heiligen Bücher der Hindus aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert. In diesem von der alten Nonne mit zahlreichen Anmerkungen versehenen Text befand sich ein gewisser Manu in der Rolle Noahs und wurde von der Göttin Vishnu in Gestalt eines Fisches vor der bevorstehenden Flut gewarnt. Gleichzeitig riet der Fisch Manu, er möge ein Schiff bauen. Hier schien nicht der Grimm Gottes Ursache der Vernichtung gewesen zu sein, sondern eher das, was die Hindus den Atem Brahmas nennen. Ihrer Überzeugung nach erschafft dieser beim Ausatmen Wesen und vernichtet sie mit dem nächsten Atemholen, wobei ihm die Luft für seine nächste Schöpfung dient. Wie auch immer, der Himmel war in Brand geraten, sieben glühende Sonnen hatten die Erde und die Meere ausgedörrt, woraufhin es sieben Jahre lang ununterbrochen in Strömen geregnet hatte. Immer wieder die Zahl sieben.
    Maria steckt sich die nächste Zigarette an der fast aufgerauchten an. Im folgenden Buch heißt Noah bei. den Persern Yima. Als ihn der Gott Ahura Mazda auf die bevorstehende Gefahr hinweist, sucht Yima zusammen mit den besten Menschen, den schönsten Tieren und den ertragreichsten Pflanzen Zuflucht in einer Festung. Es folgt ein entsetzlicher Winter, an dessen Ende aller Schnee schmilzt und die Welt mit einer dicken Schicht gefrorenen Wassers bedeckt.
    Sie legt das Buch auf den Strohsack und nimmt sich das nächste vor. Es handelt sich um ein Sammelwerk der Aufsätze mehrerer Ethnologen, das die Ergebnisse der Forschungsreisen eines Jahrhunderts unter den in den fernsten Winkeln der Welt lebenden Völkerschaften zusammenfasst. Überall, heißt es darin, von den großen Wüsten Australiens bis hin zu den dichten Regenwäldern Südamerikas, habe man etwas über eine große Flut erfahren, zu der es einige Jahrhunderte vor Christi Geburt gekommen sei. Es sah ganz so aus, als sei in den Legenden all dieser Völker die Erinnerung an eine Katastrophe aus vorgeschichtlicher Zeit lebendig geblieben.
    So also hatte die Bettlektüre der alten Nonne ausgesehen.
    Gerade, als Maria das Buch zuklappen will, fällt ihr ein Satz ins Auge, den die Nonne an den Rand geschrieben hat.
    ∗ ∗ ∗
    Das Namenlose kehrt zurück.
    Das Namenlose kehrt immer wieder zurück.
    Man glaubt, es sei tot, aber es kommt wieder.
    ∗ ∗ ∗
    Man glaubt, es sei tot, aber es kommt wieder … Voll Unbehagen muss Maria daran denken, dass Mutter Abigail genau diese Worte mit Bezug auf Kaleb gebraucht hatte.

9
    Sie drückt ihre Zigarette in einer Keramikschale aus und geht zu dem Spind, dessen Tür halb offen steht. Darin stößt sie auf einen Blätterstapel mit Albtraumbildern, die wohl die Nonne darauf gekritzelt hat: gekreuzigte alte Frauen, geöffnete Gräber und Wälder von Kreuzen. Die gleichen Zeichnungen wie in Mary-Jane Barkos Tagebuch.
    Jedes der Blätter hat die Nonne mit einem von Flammen umgebenen roten Kreuz gekennzeichnet, deren Spitzen in Buchstaben auslaufen: INRI, der titulus vom Kreuz Christi. Darüber hat sie als Übersetzung geschrieben:
     
    IANUS NAZARENUS REX, INFERNORUM
Janus aus Nazareth, der Herrscher der Hölle
     
    Sie spürt, wie die Angst an ihrem Herzen nagt. Alles ist haargenau wie bei der Tätowierung Kalebs: nicht Jesus, der Sohn Gottes, sondern Janus, sein Doppelgänger, Herrscher der Hölle, das Namenlose.
    Als sie den Spind schließen will, fallen ihr unmittelbar davor im Steinboden eingegrabene Rillen auf. Sie sehen aus, als habe man den Schrank zahllose Male von der Wand abgerückt und dann wieder genau an

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