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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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geirrt zu sein schienen, bevor sie vor Erschöpfung »wieder zusammengebrochen« waren. Ich verwende den Begriff ›wieder zusammengebrochen‹ mit voller Absicht, denn eine wie die andere trugen sie Leichentücher, als seien sie nach ihrer Beisetzung aus dem Grab herausgekommen, um diesen lichtlosen Ort aufzusuchen.
    Ein weiterer Punkt macht mir zu schaffen: Die meisten Gerippe knieten vor den Grundmauern und hatten sich mit den Händen am Stein festgekrallt, als hätten die Untoten mit letzter Kraft dort nach etwas gesucht. Wie es der Ritus verlangt, haben wir alle dreizehn aus dem Klosterbezirk hinausgebracht und im Wald begraben, damit ihre gequälte Seele nicht diejenigen heimsucht, die im geweihten Boden des Friedhofs ruhen. Leider wissen wir nicht das Geringste über die Oberin jenes Klosters, eine gewisse Mutter Isolde von Trient. Weder auf dem Friedhof noch in den Listen des Klosters haben wir irgendeinen Hinweis darauf gefunden, dass sie verschieden sein könnte. Hat sie es in aller Eile verlassen, bevor ihre Nonnen ermordet wurden? Ist sie geflohen und hat dabei das bewusste Evangelium in ihren Gewändern versteckt mitgenommen? Noch während ich das schreibe, ist dieser Punkt ebenso geheimnisvoll wie alles andere.
    Als Schlussfolgerung kann ich nur sagen: Auch wenn ich bislang keinen Schlüssel zur Lösung irgendeines dieser Geheimnisse habe, die schwer auf unserer Seele lasten, unterliegt es keinem Zweifel, dass hier der Böse Feind am Werk war und nach wie vor sein Unwesen treibt. Ich werde diese Zeilen einem reitenden Boten anvertrauen, und so werden Eure Heiligkeit sie bald lesen können, sofern die Geißel Euren Palast verschont hat. Meinen nächsten Bericht, falls ich noch einen zu schicken habe, bevor ich nach Avignon zurückkehre, werde ich meiner letzten Brieftaube anvertrauen.
    Da die Männer, die mit mir reiten, zu erschöpft sind, als dass sie im letzten Licht des Tages den Weg fortsetzen könnten, werden wir die Nacht hier verbringen und uns an einem Wachfeuer ablösen, um die Furcht von uns fernzuhalten.
    Der Gedanke gefällt mir nicht, denn zweifellos wartet die teuflische Kraft, der die Augustinerinnen zum Opfer gefallen sind, nur auf den Einbruch der Dunkelheit, um ihr Werk fortzusetzen. Aber um sicher zu sein, dass nicht die letzten Toten beim Licht des Vollmonds aus ihren Gräbern hervorkommen, werde ich den Friedhof bewachen lassen.
    Eure Heiligkeit, ich küsse Eure Hand und drücke meinen Wunsch aus, dass uns Gott leiten möge – Euch in Eurem Kampf gegen die Finsternis, die sich über der Welt ausgebreitet hat, und mich bei meiner Suche, die mich auf diesen Seelenfriedhof geführt hat.
    ∗ ∗ ∗
    Maria nimmt sich den letzten Bericht vor. Landegaard hatte bis dahin wie gestochen geschrieben, doch jetzt wirken die Buchstaben unordentlich und ungleichmäßig, als sei seine Feder in größter Eile über das Papier geflogen, um sein tiefes Entsetzen möglichst rasch mitzuteilen. Offensichtlich wurde der Bericht wenige Stunden nach dem vorigen abgefasst.
    ∗ ∗ ∗
    Eure Heiligkeit, gerade ist der Mond über dem Inneren der Hölle aufgegangen, in die sich dieser von Gott verlassene Ort verwandelt hat. Ungeachtet des Feuers, das wir auf dem geweihten Boden des Friedhofs entzündet hatten, ist es einem unheimlichen Wesen, das aussah wie ein Mönch, gelungen, die letzten Männer meiner Begleitung niederzumetzeln. Ich höre noch die entsetzlichen Schreie, die sie ausstießen, als man sie aufschlitzte. Dies Wesen, das aussieht wie ein Mönch, hat kein Gesicht und keine Seele.
    Ich habe mich in den obersten Raum des Bergfrieds geflüchtet und sehe, während ich Euch diese letzten Zeilen schreibe, meine toten Brüder, die auf der Suche nach mir durch das Kloster irren.
    Ich beschwöre Euch zu glauben, dass diese Worte, auch wenn das Entsetzen sie diktiert hat, nicht die eines Geistesgestörten sind. Ich höre die Schritte meiner Brüder auf der Treppe; sie rufen meinen Namen. Vermutlich haben sie gesehen, wie ich mich zum Fenster hinausbeugte. Sie rufen mich. Sie kommen. Eure Heiligkeit, der Teufel wohnt in diesen Mauern. Hier endet mein Weg, hier werde ich sterben. Bevor die Tür nachgibt, vertraue ich diese letzten Worte der Brieftaube an, die ich dann in die Freiheit entlasse. Sollte Euch diese Botschaft erreichen, beschwöre ich Euch, Eure Mannen herzuschicken, damit sie dies Kloster dem Erdboden gleichmachen, ungelöschten Kalk über dessen Grundmauern streuen und das Ganze mit

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