Das Evangelium nach Satan
Vereinigten Staaten oder auch in Suiten von Palasthotels überall auf der Erde gemacht worden sind: im Sultan of Doha von Katar, im Manama Palace von Bahrain, im Belo Horizonte von Los Angeles und im Karbow von Sankt Petersburg.
In der Akte heißt es, dass an all diesen von Rom weit entfernten Orten die jüngsten geheimen Zusammenkünfte der Bruderschaft stattgefunden haben, die sich der Schwarze Rauch nennt. Fotografen haben versucht, die Handvoll Kardinäle in Zivil, die daran teilgenommen haben, vor die Linse zu bekommen, als sie aus den Autos stiegen, die sie an den Versammlungsort gebracht hatten. Carzo seufzt betrübt und geht die angehefteten Fotos erneut durch. Nichts als unscharfe Umrisse und verschwommene Schatten.
Tief in Gedanken versunken schüttelt er den dicken gepolsterten Umschlag, dem er die Fotos entnommen hat. Obwohl dieser leer zu sein scheint, wird er den Gedanken nicht los, dass sich noch etwas darin befinden könnte. Vorsichtig drückt er an verschiedenen Stellen darauf. Mit einem Mal halten seine Finger inne. Er hat eine etwas härtere Stelle entdeckt. Etwas, das jemand zwischen den eigentlichen Umschlag und die Polsterung geschoben hat.
Er reißt die Papierhülle auf, zieht einen kleinen grauen Umschlag heraus und öffnet ihn. Er enthält zwei Farbfotos und einen unbeschriebenen Bogen Papier mit einer sonderbar grobkörnigen Oberflächenstruktur.
Er legt das Blatt auf das Klapptischchen, streicht mit den Fingerspitzen darüber und spürt Erhöhungen und Vertiefungen, so, als habe jemand mit einem Stift ohne Tinte etwas darauf geschrieben. Vorsichtig zieht er diese Linien mit einem Bleistift nach und sieht nach einer Weile eine Art Siegel vor sich. Links unten neben dem in der Mitte angeordneten Tatzenkreuz befindet sich eine Lilie. Von oben nach unten folgt er weiter den Vertiefungen mit dem Bleistift. Erst kommt ein Leerraum, dann neun Zeilen mit Zeichen, die er schon einmal gesehen hat.
Erneut macht er sich mit dem Bleistift an die Arbeit. Wieder ein Leerraum, dann kommt etwas, das oben anfangs einer geometrischen Figur ähnelt, ihm dann aber immer deutlicher vor Augen tritt. Vier V-förmige Äste, von denen jeder aus zwei einander überschneidenden Dreiecken besteht, darüber ein Punkt. Das Dreieck oben rechts ist gefüllt. In der Mitte ein Tatzenkreuz, wie auf dem Siegel. Carzo macht sich daran, die letzten Linien zu füllen. Auch an den drei anderen Tatzen des Kreuzes setzen die gleichen einander überschneidenden Dreiecke an. Er hebt das Blatt vor die Deckenleuchte und mustert die Mitteilung aufmerksam.
Wenn ihn seine Erinnerung nicht trügt, haben die Tempelritter dies Siegel benutzt, als sie sich nach dem Ende der Kreuzzüge in Frankreich niederließen, wenige Jahre, bevor man den Orden auflöste und seine Mitglieder hinrichtete. Die geometrische Figur unterhalb der Linien stellt ohne jeden Zweifel das Kreuz der acht Seligpreisungen, das Symbol der Templer für die Bergpredigt. Jede Spitze der nach außen weisenden Dreiecke steht für eine der Seligpreisungen, die der Herr seine Jünger gelehrt hat. Woher dies geheimnisvolle Kreuz stammt, verliert sich im Dunkel der Zeiten. Die ältesten Hinweise darauf finden sich auf mexikanischen Tafeln, die Jahrtausende vor Christus entstanden sind. Man nennt sie ›Pyramidenkreuze‹, weil sie der Legende nach die vier Seiten der alten Pyramiden darstellen sollten. Sonderbarerweise hat man dies Kreuz auch am bolivianischen Ufer des Titicaca-Sees entdeckt sowie in bestimmten Aztekentempeln, wo es als Symbol des Gottes Quetzalcóatl galt.
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Bis zur Verhaftung sämtlicher Tempelritter im Jahre 1307 hatten sich in den verschiedenen Komtureien des Ordens acht solche Kreuze befunden, je eines für jede Seligpreisung: für die Armen im Geist, die Trauernden, die Sanftmütigen, die nach der Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden, die Barmherzigen, diejenigen, die reinen Herzens sind, die Friedensstifter und schließlich die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Diese acht mit Rubinen besetzten Goldkreuze hatten die höchsten Würdenträger des Templerordens unter ihrem Obergewand getragen, als Erkennungszeichen, aber auch aus einem anderen Grund … Sie hatten vor allem dem Austausch geheimer Botschaften gedient, bei denen sie die geometrische Gestalt des jeweiligen Kreuzes als Schlüssel benutzten. Aus diesem Grund wiesen die Kreuze der Templer unterschiedliche geometrische Muster auf, die durch mehr oder weniger ausgefüllte
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