Das Evangelium nach Satan
runzelt die Stirn. Was haben die Namen einer schottischen Tageszeitung und einer Luftfahrtgesellschaft in einem Text zu suchen, der nach dem System der Templer verschlüsselt worden ist? Zweifellos ein Wink des Kardinals, der sich in die Bruderschaft vom Schwarzen Rauch eingeschlichen hat.
Der Exorzist macht sich an die nächsten drei Zeilen. Diesmal ist der Text französisch, die Sprache der ältesten Tochter der römischen Kirche. Die Entschlüsselung der letzten Zeichen geht Carzo rasch von der Hand, und schon bald hat er den vollständigen Text vor sich.
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NOVUS ORDO MUNDI
VENIT
EDINBURGH
NEWS
CATHAY
PACIFIC
LA FUMÉE NOIRE
GOUVERNE
LE MONDE
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DER SCHWARZE RAUCH BEHERRSCHT DIE WELT. Ja, es handelt sich in der Tat um eine Ankündigung. Irgendetwas steht bevor – wenn es nicht gar schon geschehen ist. Auf jeden Fall wird, wenn man dem Text glaubt, etwas die neue Weltordnung auslösen und dem Schwarzen Rauch die Herrschaft über die Welt in die Hand spielen. Diese unmittelbar bevorstehende Gefahr teilt der Kardinal, der dem Schein nach jener Bruderschaft angehört, auf diese Weise mit, und Pater Jacomino hatte die Aufgabe, den Vatikan schnellstens davon in Kenntnis zu setzen. Ganz offensichtlich ist der Kardinal auf eine Information gestoßen, deren Bedeutung die Verwendung des Templer-Codes und das Auslösen der höchsten Alarmstufe rechtfertigt. Diese Information müsste sich auf den beiden Fotos finden, die zusammen mit dem scheinbar leeren Blatt in dem kleinen Umschlag enthalten waren.
Carzo sieht sich die erste Aufnahme an. Sie zeigt das Fenimore Harbour Castle, ein kleines einstöckiges Gebäude mit Reetdach in einer abgelegenen Heidelandschaft hoch im Norden Schottlands. Der im Schließfach von Manaus vorgefundenen Akte nach hat dort die letzte Sitzung des Schwarzen Rauchs vor der Eröffnung des Dritten Vatikanischen Konzils stattgefunden. In einem Salon sitzt ein alter Herr mit überkreuzten Beinen in einem Ledersessel am Kamin und liest Zeitung. Da man ihn von der Seite aufgenommen hat, verdeckt die seitliche Kopflehne des Sessels sein Gesicht, sodass man lediglich seinen Körperumriss sowie eine graue Haarsträhne und einen Slipper der Marke Berluti erkennt. Carzo will schon zum zweiten Foto übergehen, als sein Blick auf die Zeitung in den Händen des Unbekannten fällt. Er nimmt seine Lupe zur Hand und entziffert: Edinburgh Evening News. Fette Schlagzeilen nehmen die halbe Seitenbreite in Anspruch.
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Dramatic air crash over the North Atlantic. Flight Cathay Pacific 7890 from Baltimore to Korne disappeared early this morning above the ocean. Destroyer USS Sherman arrived on location. No survivors found.
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Carzo spürt, wie sich seine Nackenhaare aufrichten, als er sich den Text übersetzt: ›Schweres Flugzeugunglück über dem Nordatlantik. Der Flug Cathay Pacific 7890 von Baltimore nach Rom ist am frühen Morgen über dem offenen Meer verschwunden. Der in der Nähe befindliche amerikanische Zerstörer USS Sherman hat an der Unglücksstelle keine Überlebenden gefunden.‹
Der Exorzist schließt die Augen. Jetzt erinnert er sich. Das Flugzeugunglück, zu dem es vor nicht allzu langer Zeit gekommen war, beschäftigte nach wie vor die Medien, weil man die Ursache des Absturzes nicht ermitteln konnte, obwohl amerikanische Marinetaucher die Flugschreiber aus einer Tiefe von viertausend Metern geborgen hatten. Ein weiterer Grund für das anhaltende Interesse der Medien mochte darin liegen, dass sich an Bord dieser Maschine elf Bischöfe und Kardinäle befunden hatten, die von einer Inspektionsreise durch die Bistümer Nordamerikas nach Rom zurückkehrten. Als offiziellen Anlass für diese Reise hatte man angegeben, dass sie dort vor dem Konzil die vorherrschende Stimmung erkunden sollten, doch vermutete Carzo, dass sie in Wahrheit eine gänzlich andere Aufgabe gehabt hatten.
Ganz davon abgesehen, hatte es sich nicht um irgendwelche Kardinäle gehandelt, sondern um solche, die zum Kreis der engsten Vertrauten des Papstes gehörten. Einer von ihnen war Kardinal Palatine gewesen, Leiter der Kanzlei für Enzykliken, die Nummer zwei im Staatssekretariat des Vatikans. Ein weiteres Opfer, der schottische Kardinal Jonathan Galway, war für die Finanzen der römischen Kirche zuständig gewesen, und Seine Exzellenz, Monsignore Carlos Esteban de Almaguer, hatte dem mächtigen Opus Dei vorgestanden. Diesem weltlichen Orden, der es sich zur Aufgabe gemacht
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