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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Anoraks hüllt sie jetzt das grobe Gewebe eines Nonnenhabits ein. Ihre Zähne lockern sich und fühlen sich faulig an. Ein säuerlicher Geruch steigt ihr in die Nase. Sie kennt ihn schon – es ist derselbe, der sie im Kloster von Holy Cross in den Rocky Mountains geweckt hatte.
    Während sie in Mutter Gabriellas Leib schlüpft, hört sie wieder das Kratzen der Löffel, das Geräusch der Holzpantinen auf dem Boden und das Lachen der Nonnen an den Refektoriumstischen. Sie öffnet die Augen und sieht den schwachen Lichtschein von Kerzen. Man schreibt den 14. Januar 1348. Schon seit über einem halben Jahr wütet der Schwarze Tod … An jenem Abend hatte der eintönige Singsang der Schwester, welche die Litanei der Dämonen vortrug, Mutter Gabriella in eine Art Dämmerschlaf versetzt. In den wenigen Sekunden zwischen Wachen und Schlaf hatte sie fratzenhafte Wasserspeier gesehen, die des Regens nicht Herr wurden, Leichen in Wasserläufen und ganze Meuten herrenloser Hunde, die sich in von der Pest verwüsteten Städten herumtrieben. Auch sonderbare Reiter hatte sie gesehen, die Mönchskutten mit Kapuzen trugen, Fackeln schwangen und mit verhängten Zügeln auf das Kloster zusprengten. Das laute Geräusch, mit dem die Tür zum Refektorium aufgestoßen wurde, hatte sie geweckt. Die atemlos herbeigeeilte Nonne wies mit aufgeregten Bewegungen in die Dunkelheit hinter sich. Das genügte, um Mutter Gabriella die Situation erfassen zu lassen: Die Reiter kamen näher.

8
    Nachdem man den Kardinälen mitgeteilt hat, dass das Konklave vorverlegt wird, lässt der Kardinal Camerlengo die schweren Pforten des Vatikans verschließen und trennt auf diese Weise die schweigenden Prälaten von der Menge der Gläubigen, die wie immer den Petersplatz bevölkern. Anschließend sorgt er dafür, dass die Schweizergarde am Eingang zur Basilika den Strom der Pilger, die gekommen sind, um vor der sterblichen Hülle des Papstes niederzuknien, in geordnete Bahnen lenkt. Die Schlange reicht bis zur Brücke vor der Engelsburg. Man muss damit rechnen, dass dies trotz des beständigen Nieselregens noch einige Tage so weitergehen wird.
    Kommissarin Valentina Graziano bahnt sich ihren Weg durch die Menge zu dem Gebäude, in dem das Archiv untergebracht ist. Sie schwenkt ihren Passierschein und geht an den Schweizergardisten vorüber, die das ganze Gelände abgeriegelt haben.
    Im Inneren der Räume, in denen Standbilder und Bücherregale schwarz verhängt sind, kommt es ihr vor, als gehe sie über einen Friedhof. Als der Offizier der Wache am Gitter vor dem Geheimarchiv sie kommen sieht, lässt er seine Männer die Hellebarden kreuzen und verlangt ihren Passierschein.
    Während er ihn aufmerksam liest, überlegt die Kommissarin, wo sie das Bulldoggengesicht schon einmal gesehen hat. Dann erstarrt sie. Dieser Hüne im altmodischen Wams mit Pumphosen, der ihren Passierschein um und um dreht, ist niemand anders als der Kommandant der Schweizergarde in eigener Person, dessen mächtigen Umriss sie bei ihrem ersten Eintritt in die Basilika neben Kardinal Camano gesehen hatte. Sie erinnert sich umso deutlicher daran, weil es ihr merkwürdig vorkam, dass er bei ihrem Nähertreten rasch in die Dunkelheit zurückgewichen war, als wolle er nicht, dass sie sich sein Gesicht einprägte. Sie findet es äußerst sonderbar, dass ein so hochrangiger Offizier seine Zeit damit vergeudet, vor dem Geheimarchiv Wache zu stehen, während in der Basilika die Trauerriten für den Papst abgehalten werden.
    Als er sie von Kopf bis Fuß mustert, fällt es ihr schwer, dem Blick seiner kalten Augen standzuhalten, die keinerlei menschliche Regung zu kennen scheinen. Er bedeutet ihr zu warten, dann nimmt er einen Telefonhörer ab und flüstert etwas. Um ihre Ungeduld zu überspielen, holt sie einen Kaugummi aus ihrer Handtasche und schiebt ihn sich in den Mund. Der Hüne weiß genau, dass mit ihrem Passierschein alles in bester Ordnung ist – schließlich hat er ihn selbst gegengezeichnet. Mithin kann seine Verzögerungstaktik nur bedeuten, dass er Zeit gewinnen will. Vermutlich sind seine Leute damit beschäftigt, im Geheimarchiv Spuren zu beseitigen.
    Während sie den Kaugummi im Mund hin und her schiebt, wartet sie unter dem teilnahmslosen Blick der Hellebarden-Träger. Das Telefon läutet. Der Kommandant nimmt ab und hört zu. Valentina ballt die Hände in den Taschen ihres Regenmantels zu Fäusten. Ihrer festen Überzeugung nach ist nicht das Staatssekretariat am anderen Ende der

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