Das Evangelium nach Satan
Leitung, sondern ein Komplize, der ihm mitteilt, dass die Luft rein ist und alle Spuren beseitigt sind. Mach dich doch nicht selbst verrückt, Valentina. Der klobige Blödmann da in seinem Ballettröckchen macht nur seine Arbeit.
Der Kommandant legt auf und gibt ihr den Passierschein zurück.
»Geben Sie acht – die Stufen sind glatt. Es wäre doch jammerschade, wenn Sie sich da im Dunkeln den niedlichen Hals brechen würden.«
Bei diesen Worten fährt sie zusammen. Diese Stimme mit dem knödeligen Walliser Akzent hat sie schon zweimal gehört. Das ist unverkennbar der Mann, der sich gemeldet hatte, als sie auf die Wahlwiederholungstaste von Ballestras Telefon gedrückt hatte und damit auch der, dem der Mörder des Archivars von dessen Zimmer aus den Vollzug der Tat mitgeteilt hatte.
»Stimmt etwas nicht?«
»Wieso?«
Valentina fürchtet, ohnmächtig zu werden, als sie die Augen des Hünen wieder auf sich gerichtet sieht.
»Sie sind ja leichenblass.«
»Ich habe mich erkältet. Wahrscheinlich das Fieber.«
»Dann sollten Sie aber lieber nach Hause gehen, solange es nicht zu spät ist«, rät er ihr mit höhnischem Blick. Sie würde schwören, dass darin noch ein anderer Ausdruck lag, nämlich unverhüllte Bosheit. Nein, nicht Bosheit, Wahnsinn. Der Kerl ist verrückt. Total bescheuert, völlig bekloppt. Er hat einen gewaltigen Sprung in der Schüssel. Um Gottes willen, Valentina, du siehst, dass er Bescheid weiß. Bestimmt hat er auch unten an der Treppe einen Posten stehen. Was glaubst du eigentlich? Meinst du wirklich, er nimmt es tatenlos hin, dass du die Spur von Ballestra bis zu ihm verfolgst?
Gerade als sie aufgeben will, wendet sich der Kommandant schroff ab und bedeutet seinen Männern, das Gitter zu öffnen. Sie spürt, wie ihre Knie weich werden. Das Beste wäre, sich unter einem glaubwürdigen Vorwand davonzumachen und die verdammten Burschen einfach festnehmen zu lassen. Dem Kommandanten der Schweizergarde während der Trauerzeit um den verstorbenen Papst Handschellen anlegen lassen? Welche Beweise hast du denn? Eine Stimme mit Walliser Akzent auf einem Aufzeichnungsgerät? Werd wach, Valentina! Jeder Gardist kommt aus der Schweiz, die sprechen alle so. Trotzdem würde sie dem Kerl, wenn es nach ihr ginge, am liebsten den Absatz zwischen die Beine rammen und dann davonlaufen, so schnell sie kann. Doch stattdessen setzt sie sich, als das Gitter geöffnet wird, in Richtung auf die gähnende Schwärze der Treppe zum Untergeschoss in Bewegung.
9
Carzo kniet Maria gegenüber am Boden. Sie windet sich in ihrem Stuhl. Er ist besorgt, auch wenn bisher alles nach Wunsch verlaufen ist. Zuerst sah es so aus, als ob sie friedlich schliefe, doch dann hat ihr Gesicht entsetzlich gezuckt, und ihre Armmuskeln haben sich verkrampft. Er kann nicht glauben, was er sieht, doch tatsächlich wird sie zusehends älter. Zuerst ist ihr Gesicht erschlafft, und die Haut wurde faltig. Jetzt setzt sich der Prozess an ihrem Hals fort.
Er will diese Erscheinung auf das zuckende Kerzenlicht zurückführen, doch als er bemerkt, dass auch die Haare der jungen Frau grau werden, kann er nicht umhin, sich einzugestehen, dass sie sich verwandelt. Unvermittelt stimmt Maria mit einer Stimme, die nicht die ihre ist, ein entsetzliches Geschrei an: »Zurück, Verruchte! Ihr dürft hier nicht herein!« Diese Worte hat Mutter Gabriella von der Mauer herab den Reitern zugerufen, die sich versammelt haben, um das Kloster zu stürmen. Es sind im Lande umherziehende Mönche, die keinen Herrn und keinen Gott kennen, Ketzer und Straßenräuber. Sie tun in dieser Zeit des Schwarzen Todes, in der nicht mehr Gottes Gebot gilt, sondern die nackte Gewalt regiert, was ihnen beliebt.
Im Dorf am Fuß des Berges, dessen Bewohner von den marodierenden Reitern abgeschlachtet worden waren, lecken knisternde Flammen an den Dächern empor und verzehren die Balken der Häuser. Sie schlagen so hoch, dass sie die Berghänge beleuchten. Auch die Bauernhöfe entlang ihres Wegs waren gebrandschatzt worden. Niemand soll über das berichten können, was sich oben im Kloster abspielen wird.
Rund hundert Pferde, die unruhig tänzeln und mit den Hufen scharren, stehen am Fuße des Steilhangs, als Mutter Gabriella den Männern ihre Worte entgegenschleudert. Beim Klang ihrer Stimme heben die Mönche den Kopf. Im Licht des Monds leuchten ihre Augen wie Edelsteine. Maria sieht einen Wald von hellen Pünktchen vor sich, während sich Mutter Gabriella über die
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