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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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lebende Seele mehr gestoßen – überall verlassene Dörfer und menschenleere Landstriche.
    Die gleiche Stille und das gleiche Gefühl von Einsamkeit herrschen, als sich der kleine Zug dem Dorf Pratobornum am Fuß des Mons Cervinus nähert. Schon seit einer ganzen Weile hat ein sonderbarer Geruch nach verbranntem Balkenwerk und kaltem Rauch in der Luft gelegen, dessen Herkunft sie nicht zu erkennen vermochten.
    Als Erster sieht Landegaard die geschwärzten Ruinen des Dorfs. Vier seiner Männer, die am hinteren Ende des Zuges miteinander gescherzt haben, verstummen beim Anblick, der sich ihnen bietet. Gehöfte sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt, Scheunen in sich zusammengesunken. In den Trümmern finden sie verkohlte menschliche Gerippe. Landegaard hebt den Blick zum Kloster, dessen feste Mauern sich trotz der Entfernung im rötlichen Schein der Abendsonne deutlich abzeichnen. Ein Schwarm Krähen umkreist die Turmspitzen. Wortlos besteigt er erneut sein Pferd und treibt es auf den Maultierpfad, der durch die Vorberge des Mons Cervinus führt.

17
    Er hält sein Tier außerhalb Bogenschussweite an und setzt sein Signalhorn an. Viermal stößt er hinein. Als einziges Ergebnis der langgezogenen Töne flattern die schwarzen Vögel davon und steigen in den milchig-trüben Himmel auf. Er lauscht in die Stille, hofft, das Quietschen einer Seilrolle zu hören. Doch dringt außer dem Krächzen der Vögel und dem Pfeifen des Windes nichts an seine Ohren. Kein Seil senkt sich aus dem Dunst herab, um ihn und seine Leute nach oben zu bringen.
    Aufmerksam mustert er die Schießscharten. Auch dort ist niemand. Als er sich zu seinen Schreibern umwendet, um ihnen aufzutragen, dass sie in den Bericht aufnehmen sollen, im Kloster vom Mons Cervinuns rege sich kein Leben, sieht er ein Stück weiter am Fuß des jähen Absturzes reglose dunkle Gestalten. Er spornt sein Tier an, um nachzusehen.
    Schaudern erfüllt ihn, als er erkennt, dass die in den sonderbarsten Stellungen am Boden liegenden Gestalten das Habit der Weltfernen Schwestern tragen. Elf zerschmetterte Körper. Wie es aussieht, sind sie aufeinander gefallen, weil sie alle von derselben Stelle der Mauer herab in die Tiefe gestürzt sind. Er hebt den Blick. Er kennt das Kloster und weiß, dass die Brüstung, die er weit über sich sieht, viel zu hoch ist, als dass man sie ohne Hilfsmittel erklettern könnte. Man muss die Nonnen also hinabgeworfen haben.
    Immer wieder muss er sein unruhig tänzelndes Pferd, das vor irgendetwas zu scheuen scheint, fest an die Kandare nehmen. Er beugt sich zu den Leichen hinab. Der Schwarzfärbung ihrer Haut nach zu urteilen, haben sie den ganzen Winter dort gelegen, wobei sich ihre Körpersäfte unter dem Einfluss der strengen Kälte verfestigt haben. Bei Einsetzen des Tauwetters dann hat der Prozess der Mumifizierung eingesetzt. Das also ist der Grund für den strengen Geruch und den vergleichsweise guten Erhaltungsgrad, in dem sie sich befinden. Er steigt ab und beugt sich über eine der Nonnen, deren glasige Augen weit vorstehen, wie unter dem Eindruck eines unaussprechlichen Grauens. Sicherlich infolge des tiefe Sturzes von der Mauer herab. Oder doch nicht? Er schiebt den Kragen ihres Gewands beiseite und sieht, dass ihr Hals durchgebissen ist. So kräftige Kiefer hätte ein Wolf, doch ist dafür die Wunde zu groß. Für einen Bären wiederum ist sie zu klein. Auch die anderen Schwestern weisen diese Wunde auf, und zwar alle ausschließlich am Hals. Das kann nur bedeuten, dass welches Wesen auch immer ihnen oben im Kloster diese Verletzung zugefügt hat, sie anschließend über die Mauer in die Tiefe geschleudert hat. Dann sieht er im Fleisch einer der Nonnen etwas aufblitzen. Er nimmt eine Zange aus der Satteltasche, zieht den Gegenstand aus der Wunde und hält ihn ins Abendlicht. Sein Blick wird starr. Was er da vor sich sieht, ist der Zahn eines Menschen.

18
    Valentina Graziano folgt den Windungen des Geheimgangs. Es ist darin so dunkel, dass es ihr vorkommt, als schwimme sie in einem Becken voller Tinte. Erst vor einem halben Tag ist Ballestra durch diese Finsternis seinem Schicksal entgegengegangen. Um sich besser orientieren zu können, hat sie ihr Nachtsichtgerät aufgesetzt, sodass der Gang in grünliches Licht getaucht scheint. Durch diese Brille kann sie sowohl die Fußabdrücke des Archivars auf dem Boden wie auch die Spuren seiner Hände an den Wänden erkennen.
    Den bedrückenden Geruch nach Moder und alten Steinen

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