Das Evangelium nach Satan
hatte.
»In jener Handschrift wird behauptet, die Jünger hätten den Leichnam Christi, der sich am Kreuz von Gott losgesagt und in Janus verwandelt haben soll, in eine Höhle im Norden Galiläas gebracht und dort ihr Evangelium verfasst. Anschließend hätten sie Missionare mit dem Auftrag nach Norden ausgesandt, die Lehre des Antichristen zu verbreiten. Die Spuren von deren Missionstätigkeit zeigen, dass sie die Mongolei und Sibirien durchquert haben und von dort aus über die vereiste Beringstraße auf den amerikanischen Kontinent gelangt und entlang der Pazifikküste nach Süden gezogen sind, bis sie schließlich Mexiko, Kolumbien und Venezuela erreicht haben. Diese These hatten amerikanische Forscher schon vor längerer Zeit zur Erklärung dessen vorgetragen, dass in Kulturen, die nie in unmittelbare Berührung miteinander gekommen waren, sowohl der Schöpfungsmythos als auch der Bericht über die Sintflut bekannt war. Die offiziellen Vertreter der römischen Kirche hatten diese Theorie stets vom Tisch gewischt, obwohl sie, wie sich jetzt zeigt, offenbar genauestens Bescheid wussten … O mein Gott …«
Rascheln und Knistern: Ballestra entrollt weitere Pergamente.
»Soeben habe ich in der Nische des Papstes Hadrian VI. in Leder gebundene alte Hefte gefunden. Genauer gesagt sind es Logbücher, wie die Erforscher der Neuen Welt sie führten, um ihre Entdeckungen zu beschreiben … Darin geht es um die Valladolid, das Flaggschiff des Hernan Cortés … Eins von ihnen enthält eine mit einer dicken Wachsschicht bedeckte sehr alte Seekarte mit Routen, die der Windrichtung und den Sternen zu folgen scheinen. Im Umschlag des zweiten Heftes findet sich eine Landkarte voller Symbole, wie Maya und Azteken sie verwendet haben, auf der außerdem in den Anden und auf den Hochplateaus von Mexiko blutrote Kreuze eingezeichnet sind. Sie sollen wohl jeweils für einen von Geheimnissen umwitterten Ort stehen.«
Wieder knistert es. Ballestra murmelt etwas vor sich hin, während er die Dokumente entziffert. Dann fährt er fort: »Gerade habe ich in der vorhin genannten Nische Briefe von Cortes an die spanische Inquisition und die geistlichen Gelehrten der Universität Salamanca entdeckt. Aus ihnen geht hervor, dass er mit seinen Gefährten ins Herz des Aztekenreichs gelangt war, das durch Verrat zu unterwerfen er den Auftrag hatte. Er erklärte darin, der Herrscher Moctezuma halte die Spanier für Götter, die seinem Volk in früheren Zeiten versprochen hatten, zu ihm zurückzukehren, weshalb ihn die Azteken mit äußerster Gastfreundschaft behandelten und es ihm erlaubt hätten, einer sonderbaren religiösen Zeremonie beizuwohnen. In dem Tempel, der Ort dieser kultischen Handlung war, habe ein von einer Krone mit blutigen Dornen überragtes schweres Marmorkreuz gestanden. Die Zeremonie habe verblüffende Ähnlichkeit mit der heiligen Messe gehabt: Ein Priester in einem offenen Federumhang habe vor einem Altar zelebriert und dabei heilige Worte in einem Gemisch aus Sprachen von sich gegeben, die Cortes für Türkisch und Latein hielt. Das aber ist noch nicht alles: Als sich die Zeremonie ihrem Ende näherte, habe der Aztekenpriester Stücke von Menschenfleisch in einen goldenen Kelch gelegt und eine blutrote Flüssigkeit in einen anderen gegossen. Daraufhin hätten sich die Gläubigen vor den Augen des Spaniers in einer Doppelreihe vor dem Priester niedergekniet, um diese Kommunion zu empfangen.«
Nach einer kurzen Pause hört sie erneut Ballestras Stimme. Er wirkt erschöpft.
»O Herr, hier wird klar, dass die Azteken in der Tat durch ketzerische Missionare mit der Lehre des Evangeliums in Berührung gekommen waren, lange bevor Kolumbus mit seinen Karavellen Amerika erreicht hat. Das erklärt auch die Entdeckung Pater Carzos in jenem Tempel in Amazonien und beweist, dass die Jünger des von Gott Abgefallenen bis nach Mexiko gelangt waren, nachdem sie die Beringstraße überquert hatten. Es war ihnen gelungen, den Azteken einzureden, Janus sei die Geißel der Olmeken, weshalb sie ihn verehren müssten, wenn sie nicht dasselbe Schicksal erleiden wollten wie ihre Vorfahren. Das also ist die große Lüge, die unsere Kirche seit Jahrhunderten zu verbergen trachtet.«
Allmählich geht Valentina auf, auf was sie sich da eingelassen hat.
»O mein Gott, ich flehe dich an, bitte nicht …«
Erneutes Knistern. Die Stimme des Archivars wird brüchig.
»Ich halte hier den Beweis dafür in Händen, dass die Kardinäle des Schwarzen
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