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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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zusammenzusinken. Er schwankt, lässt den Dolch los, fällt auf die Knie und sinkt zu Boden.
    Valentina wirft auch das zweite leere Magazin aus, setzt das letzte ein, das sie hat, und lädt die Waffe durch. Schwer atmend geht sie langsam auf den Mann zu. Obwohl sie sieht, dass die Kapuze von Blut getränkt ist, gibt sie vier weitere Schüsse ab, die in der Stille laut nachhallen. Erst als sie sicher ist, dass er nicht wieder aufstehen wird, bricht sie in haltloses Schluchzen aus.

23
    Es wird immer kälter. Pater Carzo sieht besorgt auf die bläulichen Verfärbungen, die sich unter den Lederriemen auf Marias Unterarmen zeigen. Ihr Atem geht nach wie vor pfeifend. Allerdings hebt und senkt sich ihre Brust nicht im gewohnten Takt. Es ist, als wenn etwas anderes durch sie hindurch atmete, etwas, das immer mehr von ihrem Körper Besitz ergreift. Oder, als ob dies Etwas, das sich ihrer allmählich bemächtigt, immer gegenwärtiger würde. Ja, genau. Dieser Gedanke lässt Carzos Blut erstarren, während sich Marias Gesicht zusammenzieht: Das Wesen, das in ihr größer wird, steht im Begriff, die Oberhand zu gewinnen.
    »Maria?«
    Ein raues und tiefes Pfeifen. Die Lederriemen scheinen sich unter dem Druck ihrer Unterarme zu dehnen. Carzo wendet sich um. Die Farben im Refektorium verändern sich, und die alten Wandteppiche, die es im Mittelalter schmückten, tauchen wieder auf. Jetzt bedecken sie die hellen Flecken, die sie an den Wänden hinterlassen hatten. Schwere Stoffe voller Staub und Erinnerungen. Carzo fährt zusammen, als er in der Ferne den klagenden Ruf eines Signalhorns hört. Er wendet sich Maria zu, die ihn unverwandt ansieht.
    »Wie steht es?«
    Der Priester betrachtet sie aufmerksam. Das sind nicht ihre Augen, die ihn da ansehen.
    »Um Gottes willen, Maria! Sie müssen zurückkehren, bevor es zu spät ist!«
    Schweigen antwortet ihm. Dann erneut der Klang des Horns in der Dunkelheit. Carzo fährt zusammen, als er auf der Treppe des Felsenklosters den schweren Schritt von Stiefeln hört.
    »Maria?«
    Mit wohl modulierter und fester Stimme ertönt es aus ihrer Kehle: »Ich heiße Thomas Landegaard und bin Generalinquisitor der Marken Aragon, Katalonien, Provence und Mailand.«
    »Ich bitte Sie, Maria, nun wachen Sie doch auf.«
    Mit lautem Knall bersten die Lederriemen, während sie sich aufrichtet und zu den Refektoriumstischen hinübergeht.

24
    Valentina lässt den Mönch in der Halle der Siegel liegen und folgt den Blutspuren, die Ballestras Leichnam hinterlassen hat, als er über den Boden geschleppt wurde. Am Ende des Raums tritt sie durch eine offen stehende Tür in einen weiteren Geheimgang.
    Jetzt steht sie vor einer Treppe und geht hinauf. Je höher sie steigt, desto lauter werden die Klänge der Orgel in der Basilika. Oben angekommen, sieht sie prüfend in den schmalen Gewölbegang, der vor ihr liegt. Sie erkennt die hell beleuchtete Nische, in der die Überreste des Apostels Petrus ruhen. Mithin muss sie sich in der für die Öffentlichkeit zugänglichen Passage befinden, die unter dem Petrusgrab hindurchführt. Sie steckt ihre Pistole ein und steigt die letzten wenigen Stufen empor.
    ∗ ∗ ∗
    Die Orgel stimmt gerade die ersten Takte von Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion an, zu denen der Text »Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen« gehört, als Valentina unter die Menge der Trauernden tritt. Sie lehnt sich an einen Pfeiler: Der Geruch nach Weihrauch und die betäubenden Klänge der großen Orgel machen sie benommen. Vor dem Altar bilden Schweizergardisten in Paradeuniform eine Ehrenwache. In vier Reihen knien in Kardinalspurpur gekleidete Männer vor dem Sarg, ein wahres Heer von Prälaten, an dem die Menge vorüberzieht, während sie den Katafalk umrundet, bevor sie langsamen Schritts dem Ausgang entgegenstrebt. Während Valentina nach wie vor an den Pfeiler gelehnt dasteht, geht ihr durch den Kopf, was diese trauernde und feierlich gestimmte Menschenmenge wohl täte, wenn sie mit einem Mal hinausschreien würde, sie habe den Beweis dafür, dass man den Papst ermordet hat und die Täter niemand anders sind als die Kardinäle. Sie schließt die Augen, um die Gespenster zu vertreiben, die sie bedrängen. Wenn sie das unter den Klängen der Orgel hinausschriee, würden sich ihr zweifellos Tausende namenloser Gesichter zuwenden und sie mit mitfühlendem Lächeln als bedauernswerte Geisteskranke abtun. Während die Pilger ihren stummen Zug fortsetzten, würden die Schweizergardisten die

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