Das Evangelium nach Satan
Lüge der Kirche.«
»Dann rufst du auch noch den Chefredakteur des Corriere della Sera an, statt dich auf der Wache zu melden. Noch dazu über das Mobiltelefon! Was soll das, verdammt noch mal?«
Sie spürt, wie eine Welle von Niedergeschlagenheit sie überspült.
»Habt ihr wenigstens seine Leiche geborgen?«
»Es gibt keine Leiche.«
»Was?«
»Übrigens auch keine Blutspuren auf dem Gehweg oder Mönche auf der Straße.«
»Aber die Leute vom Hotel Abruzzi, vor dessen Tür man Mario ermordet hat, müssen doch etwas gesehen haben!«
»Wir haben sie befragt. Es gab nichts zu sehen.«
Schweigen.
»Und was ist mit dir, Valentina?«
»Was soll mit mir sein?«
»Was hast du genau gesehen?«
»Du hältst mich wohl für blöd?«
»Valentina, du und ich, wir sind beide bei der Polizei und wissen genau, wie so was funktioniert. Du hast dich plötzlich in einem Geheimgang unter dem Vatikan in die Enge getrieben gefühlt, bist ausgerastet und hast dir ganze Räume voller Panzerschränke und als Mönche verkleidete Mörder eingebildet. Stimmt doch?«
Sie entreißt seinen Händen das Diktiergerät.
»Und das da, verdammt noch mal – hab ich das vielleicht im Studio aufgenommen?«
»Wahrscheinlich sind das die Wahnvorstellungen eines mit Alkohol vollgepumpten alten Archivars, der an Depressionen leidet. Ich stelle mir das schon richtig in der Skandalpresse vor und sehe die Schlagzeilen vor mir: Abrechnung im Vatikan: Ein aus der Kurie ausgeschlossener Prälat saugt sich ein Komplott aus den Fingern, um sich an einem Haufen Kardinäle zu rächen. Werd wach, Valentina. Ohne die Dokumente, von denen der Alte da schwadroniert, ist deine Aufnahme ebenso wenig wert wie eine Fernsehwerbung für Kondome.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, können sich die Leute im Vatikan also einfach so aus der Affäre ziehen. Sie begraben den Papst und manipulieren das Konklave, um einen ihrer Männer an die Spitze der Kirche zu stellen.«
»Was hast du denn gedacht? Soll ich etwa einer Hundertschaft Kardinäle Handschellen anlegen lassen oder ihnen verbieten, den Papst zu beerdigen? Willst du, dass ich die Militärführung um Unterstützung bitte, damit sie Fallschirmjäger über dem Vatikan abspringen lässt? Zum Henker! Wenn es nach dir ginge, sollte man wohl am besten im Luftstützpunkt von Latina anrufen und die Leute auffordern, eine Atomrakete auf den Vatikan abzufeuern, was?«
Er nimmt eine Fernbedienung zur Hand und schaltet den Fernseher ein. Man sieht das Innere der Peterskirche in Großaufnahme. Der Ansager kommentiert, was die fest im Vatikan installierten elf Kameras der RAI zeigen. Er erläutert, dass man soeben den Papst beigesetzt habe und das Konklave wegen der gegenwärtigen Schwierigkeiten der Christenheit gleich im Anschluss daran beginnen solle. Die dicht gedrängte Menschenmenge auf dem Petersplatz weicht auseinander, um die Kardinäle auf dem Weg zur Sixtinischen Kapelle durchzulassen. Die Tore zum Vatikan schließen sich hinter ihnen, und eine farbenprächtig gekleidete Abteilung Schweizergardisten nimmt vor den Gittern Aufstellung. Der Ansager teilt den Millionen Fernsehzuschauern auf der ganzen Welt sein Erstaunen mit. Noch nie sei es vorgekommen, dass sich die Spitzen der römischen Kirche mit solch unziemlicher Eile in eine Papstwahl gestürzt hätten. Das sei umso erstaunlicher, als sich der Osservatore Romano bisher mit keiner Silbe zu diesem Thema geäußert habe und auch sonst keinerlei Informationen aus dem Vatikan hinausgelangt seien. Pazzi schaltet den Ton ab.
»Was hab ich dir gesagt, Guido! Du sieht ja selbst, dass sie dabei sind, die Herrschaft über den Vatikan an sich zu reißen!«
»Wer soll das sein? Marsmenschen? Die Russen? Kannst du mir Namen nennen? Hast du Beweise, Fingerabdrücke, DNS-Spuren oder irgendetwas, das ich zu den Akten nehmen kann, um dann einen Richter aus dem Schlaf zu reißen, damit er mir einen Durchsuchungsbefehl ausstellt?«
»Und was ist mit Ballestras Leiche?«
»Die beweist nur eins.«
»Nämlich was?«
»Dass der Mann tot ist.«
»Guido, ich bitte dich lediglich, mir vierundzwanzig Stunden zu geben, damit ich meine Untersuchung zu Ende führen kann.«
Pazzi gießt sich einen Schluck Whisky ein und gibt etwas zerstoßenes Eis hinzu. Dann sieht er sie ernst an.
»Du hast so viel Zeit, wie das Konklave dauert. Wenn das drei Tage sind, hast du drei Tage. Wenn es nur drei Stunden dauert, und danach scheint es mir eher auszusehen, hast du keine Minute
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