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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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obwohl sie nicht zu rennen, sondern zu gehen scheinen.
    Sie ist so erschöpft, dass sie am liebsten einfach stehen bleiben möchte. Es wäre viel einfacher, niederzuknien und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Als sie sich an den Blick des Mönchs erinnert, der Mario den Dolch in den Leib gestoßen hat, rennt sie weiter, so schnell sie kann. Sie braucht sich gar nicht umzudrehen, ihr ist ohnehin klar, dass ihr die Mönche folgen.
    Bei jeder Pfütze, in die sie tritt, spritzt eiskaltes Wasser unter ihren bloßen Füßen auf. Sie rennt den Hügel zum Quirinal empor und kommt dabei am Präsidentenpalast vorüber. Vergeblich hält sie Ausschau nach den Posten, die gewöhnlich vor dem Gitter Wache stehen – die Schilderhäuschen sind leer. Als sie in der Ferne den Palazzo Barberini sieht, tauchen mit einem Mal hundert Meter vor ihr zwei weitere Mönche auf. Rasch biegt sie in ein von Mülltonnen vollgestelltes Nebengässchen ein, an dessen Ende sie die Kerzen eines Trauerzugs auf der Via Nazionale gesehen hat. Die vier Mönche hinter ihr sind mit einem Mal ganz nah. Dann sieht sie blauen Lichtschein: Vier Polizeifahrzeuge mit eingeschaltetem Blaulicht begleiten den Zug der Gläubigen im Schritttempo. Eine letzte Anstrengung noch.
    Unmittelbar bevor sie in den Zug der Menschen eintaucht, zieht sie ihre Waffe und feuert ein ganzes Magazin in die Luft. Voller Entsetzen stieben die Menschen auseinander. Während Valentina auf die Beamten zueilt, die ihre Waffen auf sie richten, weist sie mit erhobenen Händen ihre Dienstmarke vor. Dann bricht sie kraftlos in den Armen eines der Beamten zusammen. Ein letzter Blick über die Schulter, während man sie in eine Wolldecke wickelt. Von den Mönchen ist nichts mehr zu sehen.

14
    Auf dem Friedhof der ehemaligen Klosterfestung in den Dolomiten stehen Parks und Carzo nebeneinander an einem Grab, von dem sie annehmen, dass dort Mutter Gabriella ruht. Auf der halb verfallenen Grabplatte lässt sich keine Inschrift mehr erkennen, wohl aber ein stark verwittertes Kruckenkreuz. Dort also hatten wohl eines Februartags im Jahre 1348 die Augustinerinnen die alte Nonne beigesetzt – und am selben Tag hatte das Tier angefangen, im Kloster zu wüten.
    Maria schiebt die Zweige eines Ginsterbuschs auseinander und entdeckt eine weitere bemooste Grabplatte. Mit den Fingerspitzen darüber streichend gelingt es ihr, die von Frost und anderen Witterungsunbilden nahezu gelöschte Inschrift zu entziffern. Sie liest laut vor: »Hier ruht Thomas Landegaard, Generalinquisitor der Marken Aragon, Katalonien, Provence und Mailand.«
    Das also ist die letzte Ruhestätte des Mannes, an dessen Leben sie eine Weile teilhatte. Eine eigentümliche Trauer erfasst sie, als liege dort ein Stück von ihr selbst begraben – oder als erinnere sich der Inquisitor der entsetzlichen Dinge, die in jenem Jahr vorgefallen waren. Maria fragt sich, was Landegaards letzte Gedanken gewesen sein mochten, als die toten Männer seiner Eskorte die Tür im Bergfried aufbrachen. Ob er an die von den Seelenräubern gekreuzigten Klarissen von Ponte Leone gedacht hatte? Hatte er ein letztes Mal das Wehklagen der lebend begrabenen Trappisten gehört, oder eher an den verstörenden weiblichen Geruch gedacht, der ihm in die Nase gestiegen war, als er auf seinem Pferd aufgewacht war und die vom Matterhorn herüberwehende kalte Luft eingeatmet hatte? Eine Träne tritt in ihre Augen. Ja, gewiss hat er an sie gedacht, während er dahinsank, von den Gespenstern seiner eigenen Männer entleibt. Vielleicht hatte ja die Trance tatsächlich bewirkt, dass er die Zeiten durchquerte, möglicherweise hatte sie im Grunde von Landegaards Herzen etwas hinterlassen, das nicht gestorben war und nie sterben würde.
    Sie lässt die Ginsterzweige los und wischt sich die Augen. »Komm, Maria. Wir sind gleich da«, sagt Carzo, wobei er ihr eine Hand auf die Schulter legt.

15
    Valentina öffnet die Augen wieder, als Ballestras letzte Worte aus dem Lautsprecher kommen. Im nächsten Augenblick wird der Mörder den Archivar erdolchen. Pazzis Miene bleibt teilnahmslos. Er schaltet das Gerät ab.
    »Du hast Mist gebaut, Valentina.«
    »Wie bitte?«
    »Ich hatte dich mit dem Auftrag in den Vatikan geschickt, für die Sicherheit der Konzilsteilnehmer zu sorgen, und jetzt kommst du mir mit dämlichen alten Knochen, einem Evangelium aus dem Mittelalter und einer angeblichen Verschwörung von Kardinälen.«
    »Du vergisst die Massaker an den Weltfernen Schwestern und die

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