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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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dass es die abgebildete Person, auf die morphologischen Ausgangsdaten gestützt, um rund fünfzehn Jahre jünger gemacht hat. Jetzt erscheint die geänderte Aufnahme neben dem SchwarzWeiß-Foto aus dem Sommer des Jahres 1913 auf dem Bildschirm. Maria sieht hin: Kaleb und der Mörder von Kanab sind ein und dieselbe Person.

13
    Durch die großen Scheiben des Abfertigungsgebäudes am Flughafen von Manaus sieht Carzo zu den Maschinen hin, die über das Vorfeld rollen. Es sind rostige alte Vögel der Transamazonas-Linien. Sie befördern Frachtgut und eine Handvoll Passagiere zu fernen Städten im Amazonasbecken. Weiter hinten erkennt er eine Linie von Bäumen – dort beginnt der Urwald. Die Lautsprecher verkünden die Ankunft des Flugs 8340 der Gesellschaft Delta aus Quito. Der Exorzist sieht auf die Uhr. Es ist Zeit. Ein letzter Blick hinüber zu der Boeing 767, die aus dem Dunst auftaucht, dann tritt er von der Scheibe fort und geht zu den Schließfächern am anderen Ende des Gebäudes. Seine Hand umklammert den Schlüssel, den er unter Pater Jacominos Habseligkeiten gefunden hat. Der rote Kautschuk um das obere Ende ist stark angenagt. Schließfach Nummer 38.
    Carzo bahnt sich seinen Weg durch die Menge der Reisenden. Den Anzeigetafeln entnimmt er, dass der Start von vier Maschinen nach Belém, Iquitos, Santa Fe de Bogota und Guayaquil unmittelbar bevorsteht. Ein Pulk von stark riechenden Menschen, mit Hühnerkäfigen und verschnürten Kartons in den Händen drängt sich an den Zugängen zu den Flugsteigen. Ein ganzes Stück weiter liegen hinter Panzerglasscheiben die luxuriös eingerichteten Warteräume für die Gäste internationaler Linienflüge.
    Je näher Carzo den Schließfächern kommt, desto deutlicher spürt er, wie sich ihm der Geruch der Menschenmenge aufdrängt. Tausende von Aromen vermengen sich; es ist ein Gemisch von Seelenschwärze und Gestank nach Dreck. Einen Augenblick lang hat er den Eindruck, in diesem Mahlstrom, dem seine Nase ausgesetzt ist, ersticken zu müssen. Er sieht nur noch schmutzige Hälse und zu abscheulichen Grimassen verzogene Münder – ein Wald von Lippen, die sich unaufhörlich bewegen und zu dem gewaltigen Lärm der Menge beitragen.
    Schließfach 38. Mit schweißglänzendem Gesicht steckt Carzo den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn. Ein Knacken. Er öffnet die Klappe und entnimmt dem Fach eine prall gefüllte Mappe und einen weißen Umschlag. Beides steckt er in seine Aktentasche. Ein eisiger Luftstrom streift seinen Nacken. Er wendet sich um und sieht eine alte Mestizin, die allein in der Mitte einer Reihe von Stühlen sitzt. Seine Kehle wird trocken. Es ist das zerlumpte Weib, das ihm in Manaus auf dem Weg zur Kathedrale fast die Hand zerquetscht hätte. Die Augen der Alten sind weiß und trübe – die Augen einer Blinden. Ihre Lippen öffnen sich zu einem Lächeln. Großer Gott, sie sieht mich …
    Er geht auf sie zu. Reisende versperren ihm den Weg und die Sicht. Unter Einsatz seiner Ellbogen kämpft er sich durch die geschlossene Masse von Leibern und Gepäckstücken, doch als er vor den Stühlen steht, sitzt niemand mehr dort. Die Alte ist verschwunden.
    Mit zitternden Beinen sucht er die Toilette auf. Er schließt sich ein und reißt den Umschlag auf. Er enthält einen Flugschein nach den Vereinigten Staaten mit offenem Abflugdatum und hundert US-Dollar in kleinen Scheinen. Er fährt zusammen, als eine der Toilettentüren laut zugeschlagen wird. Jemand ist mit schleppendem Schritt hereingekommen. Ein durchdringender Uringestank steigt Carzo in die Nase. Schmutzige Füße mit verkrümmten Zehen bleiben vor der Tür seiner Kabine stehen. Es sind die Füße einer alten Frau. Hände streichen über die Tür. Carzo spürt, wie sich seine Haare aufrichten, als er das wütende Gezischel aus dem Mund der Alten hört: »Wohin willst du, Carzo?«
    Gerade als er sich die Finger in die Ohren stecken will, erfüllt der Lärm der Abfertigungshalle den Toilettenraum. Gelächter. Dann schließt sich die Tür wieder. Carzo hört eine Frauenstimme und das Geplapper eines Kindes. Er öffnet die Augen. Die bloßen Füße der Alten sind verschwunden, nicht aber deren Abdrücke auf dem Fußboden.
    Er verlässt die Kabine. Eine Frau lächelt ihm zu, während er auf die Waschbecken zutritt, wo sich ein kleines Mädchen damit vergnügt, den Boden mit Wasser aus dem Hahn zu bespritzen. Er lässt kühles Wasser über seine Hände laufen und besprengt sein Gesicht. Als sich hinter seinem

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