Das ewige Leben
Haarwuchsmittel.
Sein Bassist hat das Zeug besorgt, ein richtig guter Bassist ist das gewesen, aber jetzt leider frühestens in drei Jahren der nächste Auftritt möglich, und das auch nur bei guter Führung, und der Tomas hat es ein bisschen an die Lokalbesucher weiter verdreht. Und siehst du, daher hat er den Trainer gekannt, der ist manchmal in Leverkusen zu ihren Konzerten gekommen, weil wahnsinnig musikinteressiert.
Und jetzt ist dem Tomas wieder eingefallen, warum der rothaarige Schlurf so viel Geld gehabt hat, weil der Bassist hat einmal erwähnt, ein bekannter Fußballtrainer. Aber weil der Tomas damals auf Fußball regelrecht allergisch war, hat er darauf nicht geachtet. Und jetzt muss dieser Leverkusen-Trainer aus Musikinteresse nach Wien gegangen sein, anders gibt es das nicht.
Der Tomas wollte schon wieder wegschalten, weil momentan weder Band noch Haarwuchsmittel, jetzt hätte ihm der gute Kunde so oder so nichts genützt. Und wie es oft so geht, wenn man umschaltet, sieht man in letzter Sekunde etwas Interessantes und schaltet noch einmal zurück. Oft im Leben ist dann das interessante Bild, zu dem man zurückschaltet, schon wieder weg, und womöglich hat man in letzter Sekunde im anderen Sender, von dem man gerade zurückgehüpft ist, auch wieder im Umschalten was Interessantes gesehen, das dann, nach dem abermaligen Zurückschalten, auch wieder weg ist, und ewig so hin und her das ganze Leben lang.
Oft, sage ich. Aber nicht immer. Weil jetzt beim Tomas das interessante Bild sogar noch interessanter als vorher, sprich in Zeitlupe. Immer wieder haben sie es gezeigt, eine Wiederholung nach der anderen. Du musst wissen, der Tomas hat schon seit zwei Jahren keine richtigen Drogen mehr angerührt, aber bei diesem Zeug ist es ja so, dass es manchmal einfach zurückkommt, auch wenn du es nicht mehr nimmst. Jetzt hat er zu schwitzen angefangen und sich ein bisschen an sich selber festgeklammert, weil er hat geglaubt, es ist wieder einmal so weit, und das gibt es nicht in Wirklichkeit, dass er schon wieder einen Bekannten im Fernsehen sieht.
Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich kann es verstehen, dass er das geglaubt hat. Weil hinter dem Wiener Trainer hat sich auf einmal das »MER« von »PUN TIGA MER« in eine zersplitternde Glasscheibe verwandelt. Vom Lebensglück und diesen Dingen ist man es ja schon gewöhnt, dass sie uns an der Nase herumführen und sich erst in dem Moment anschauen lassen, wo sie verschwinden, aber eine vollkommen uninteressante Fensterscheibe im ArnoldSchwarzenegger-Stadion macht es heute schon genauso und entpuppt sich erst in der Sekunde als das, was sie ist, wo sie sich in Nichts auflöst.
Aber nicht dass du glaubst, jemand hat den Ball hineingeschossen, weil in diesen versteckten Stadionwinkel hat sich noch nie ein Ball hinverirrt, und wenn schon, hätte die Scheibe es ausgehalten, weil kein Fußball auf dieser Welt ist jemals mit so einer Wucht durch eine Scheibe gedonnert wie dieser untersetzte Mensch, der Kopf voran durch das explodierende »MER« in das Stadion herausgesprungen ist.
Manchmal sagen ja die gescheiten Leute, Fußball ist nur ein Ersatz, der Mann muss immer irgendwas irgendwo hineintun, einen Ball in ein Tor, eine Pistolenkugel in einen Kopf und, und, und. Bisher hab ich auf dieses Gerede nicht viel gegeben. Aber wie jetzt der Brenner durch die Scheibe herausgeschossen ist, hat es schon so ausgesehen, als wäre alles andere im Leben nur ein Ersatz für so einen Moment vollkommener Erfüllung. Wo du selber als menschliche Kugel eine doppelt unsichtbare, einerseits gläserne, andererseits buchstabenbedruckte Schranke durchbrichst und aus deinem dumpfen Kellerloch in einen unendlich weiten und lichten Raum eintrittst.
Mein lieber Schwan. Noch bei der zweiten und dritten Wiederholung auf der riesigen Videowall im Stadion haben die fünfzehntausend Zuschauer den Atem angehalten. Und dann ist ein derartiger Jubel im Stadion ausgebrochen, zuerst unter den Zuschauern und dann sogar unter den Spielern, dass der Schiedsrichter das Spiel unterbrochen hat.
Der Tomas hat dann langsam auch wieder mit dem Schnaufen angefangen. Immer wieder haben sie es gezeigt, einmal in Zeitlupe ohne das Klirren, dann wieder in Originalgeschwindigkeit mit dem Klirren, weil da haben sie hinter dem Wiener Trainer ein Mikrofon für Trainerflüche versteckt, darum hat man das so gut gehört, wenn sie es in der normalen Geschwindigkeit gezeigt haben, wie es das »MER« rund um den Brenner
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