Das ewige Lied - Fantasy-Roman
Portal zusteuerten.
„Oh, er wusste nicht, dass ihr es seid“, sagte der Aquant. „Die Seherin hat lediglich Besuch von oben angekündigt, und darum war ich im Dorf, um die Fremden zu erwarten. Eine kaiserliche Bardin hat er erwartet, nicht aber eure schlechten Neuigkeiten.“
Jayel schwieg. Was sollte sie auch dazu sagen. Offen gestanden hatte sie nie daran gedacht, dass der Stand eines Barden bedeutete, auch schlechte Nachrichten zu überbringen. Nachdem sie durch das Portal das Innere des Palastes betreten hatten, erreichten sie über eine weitere, breit geschwungene Treppe einen riesigen Saal im ersten Stock des Gebäudes. Jayel stellte bald fest, dass es nur einer der Festsäle war; die Feier dehnte sich über mehrere Stockwerke des Palastes aus und fand in vielen verschiedenen Sälen, kleineren Räumen, Treppenaufgängen und Terrassen statt. Kallabul führte sie durch das bunte Treiben hindurch, von Raum zu Raum, immer höher hinauf. Das Gemurmel unzähliger Stimmen in der seltsamen Aquantensprache bildete eine ständige Hintergrundkulisse, und Jayel, die sich in den letzten Stunden an die friedliche Stille des Ozeans gewöhnt hatte, fand alles sehr laut und unruhig. Eine exotische Musik erklang im Hintergrund, und einmal erhaschte Jayel einen Blick auf die Musiker mit ihren ungewöhnlichen Instrumenten. Sie schienen aus Glas gefertigt zu sein und wie Glas klang auch die Musik: fein und zerbrechlich. Kallabul ließ ihr jedoch keine Zeit, die Instrumente genauer zu betrachten, sondern führte die Besucher rasch weiter, die nächste Treppe hinauf.
Jayel konnte mittlerweile nicht mehr abschätzen, wie hoch sie bereits sein mussten, denn das Festtreiben um sie herum schien auf jeder Etage gleich intensiv stattzufinden. Schließlich jedoch erreichten sie eine Terrasse, von der aus Jayel erkennen konnte, dass sie nun an der höchsten Spitze der nachgebildeten Tritonmuschel angekommen waren. Die Festgäste feierten hier genauso ausgelassen, wie in den unteren Bereichen des Palastes, doch versammelten sich die meisten Gäste um einen hohen Thron, der gegenüber der Tür am anderen Ende der Terrasse stand. Der Thron bestand aus einer riesigen Perle, deren natürliche Form eine Sitzfläche und eine Rückenlehne bildeten. Diesen ungewöhnlich kostbaren Platz nahm ein Mann ein, dessen körperliche Größe die fast drei Meter durchmessende Perle klein aussehen ließ. Über seine mächtigen, breiten Schultern war ein schwerer Mantel aus Seeanemonen gelegt, und an seinen Ohren baumelten kleine Kaurimuscheln. Das bartlose Gesicht zeigte Reife, Tatkraft und Entschlossenheit. Die auffälligen hellblauen Augen standen in starkem Kontrast zu den tiefschwarzen Haaren, die wild und buschig gleich einer Löwenmähne um seinen Kopf herum abstanden. Bei genauem Hinsehen erkannte Jayel, dass die Haare nur tiefschwarz wirkten, jedoch den satten, dunkelgrünen Schimmer von Algen aufwiesen. Als Kallabul mit den beiden Gästen den Saal betrat, wurde es still, und alle Blicke wandten sich ihnen zu. Jayel schluckte. Dann richtete sie sich entschlossen auf, ließ Daphnus und Kallabul an der Tür stehen und ging entschlossen auf den Thron zu. Um sie herum erklang ein Raunen. Jayel blieb erst kurz vor dem Thron stehen, ließ sich dort auf die Knie nieder, hob den Kopf und blickte dem riesigen Herrscher fest in die Augen. „Seid gegrüßt, König Zash!“, sagte sie mit ihrer melodischen klaren Stimme. „Ich entbiete euch Grüße der Großkaiserin Cwell und bin hier als Überbringerin von Nachrichten aus Celane.“
König Zash blickte die jungen Bardin lange an, während die Aquanten im Raum erwartungsvoll schwiegen. Dann neigte der Meereskönig huldvoll sein Haupt und sagte: „Ich begrüße euch in meinem Reich, Bardin. Was gibt es für dringende Nachrichten, die ein so junges Ding wie euch veranlassten, in mein Reich zu kommen?“
Jayel hörte die Verwunderung in König Zashs Worten deutlich. Warum war nicht einer der Barden gekommen, die an seinem Hof bereits bekannt und erwünscht waren? Das junge Mädchen folgte jedoch den höfischen Sitten und antwortete, ohne sich zu erheben: „Mit eurer Erlaubnis, Majestät, werde ich euch die Nachricht sofort zu Gehör bringen.“ König Zash winkte mit seiner riesigen Hand, an der goldene und silberne Ringe glitzerten, und gab Jayel somit das Zeichen, dass sie beginnen konnte. Das Mädchen erhob sich und stellte sich in die Erzählhaltung. Niemand im Raum konnte ihr ansehen, wie nervös sie
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