Das ewige Lied - Fantasy-Roman
versunken. Inzwischen ragten nur noch ihre Schultern und ihr Kopf aus dem Sumpf heraus. „Helft mir doch“, flehte sie verzweifelt.
Jayel blickte sich suchend um. Dann fiel ihr Blick auf ihre eigenen Hände. „Ich hab‘s“, rief die Bardin plötzlich. Sie nahm das lose Seilende auf, das Daphnus gerade von seinen Hüften gelöst hatte, und band den Stock daran, den sie die ganze Zeit benutzt hatte, um einen sicheren Weg zu suchen. „Gemma“, rief sie. „Ich werfe dir jetzt das Seil zu. Es ist an einen Ast gebunden. Du musst den Ast mit beiden Händen packen, hörst du? Nimm ihn so, dass das Seil zwischen deinen Händen ist.“ Sie hatte den Knoten fertig und prüfte durch ein kurzes Rucken nochmals die Sicherheit. Dann nickte sie zufrieden und sah zu Gemma hin. „Hoffentlich werfe ich auch weit genug“, murmelte sie besorgt. Dann holte sie aus und warf den Ast mit dem daran geknoteten Seil zu Gemma ins Moor.
Ihre Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Der Ast flog weit genug – und traf Gemma am Kopf. „Ups!“, entfuhr es Jayel. „Entschuldige, Gemma!“ Aber die Elfin war viel zu beschäftigt, nach dem Ast zu greifen, um auf die schmerzende Stelle an ihrem Kopf oder Jayels Entschuldigung zu achten.
„Ich hab den Ast“, rief sie. Jayel stieg auf Konstantius Rücken. Jetzt war keine Zeit mehr, um sich mühsam den Weg zu ertasten. Jayel hoffte einfach, dass die letzten paar Schritte bis zum nächsten Hügel sicher und trocken sein würden. Dann trieb sie Konstantius an. Der Rappe machte einen Satz nach vorne und war im selben Augenblick auf der Hügelkuppe. Hinter ihm, am Ende des Seiles, hing eine erschöpfte Gemma. Jayel und die anderen starrten sie keuchend und sprachlos an. Gemma ließ den Ast los, den sie zuvor krampfhaft umklammert hatte, und setzte sich vorsichtig auf. Sie tastete zuerst die Erde um sich herum ab, griff sich dann an Kopf, Leib und Beine, wie um festzustellen, dass sie alles wieder wohlbehalten vom Sumpf zurückbekommen hatte. Dann lächelte sie glücklich und seufzte: „Na, das war ja was...“
Nach Gemmas Sturz verzichteten sie gänzlich darauf zu reiten und tasteten sich um so vorsichtiger durch das Moor. Am Abend lagerten sie wieder auf einem Hügel. Erstaunlicherweise blieben sie an diesem Abend von den Moorkrätschen verschont. In der Morgendämmerung erfolgte jedoch ein Angriff von besonderer Stärke. Gleich zwei Dutzend Krätschen näherten sich dem Lager, und Kallabul, der die Morgenwache übernommen hatte, weckte eilig seine Gefährten. Für einen Illusionszauber von Daphnus war es schon zu spät, denn die Krätschen waren zu dicht herangekommen. Verzweifelt blickten die Fünf der Übermacht entgegen.
„Was sollen wir nur tun“, jammerte Gemma.
Tiark packte seine Keule fester und knurrte: „Kämpfen!“
Daphnus warf ihm einen Blick zu und rief: „Aber gegen diese Übermacht können wir nicht ankommen...“
Jayel dachte insgeheim das Gleiche. Während sie die näherkommenden Flugwesen beobachtete, überlegte sie angestrengt, wie sie den Angriff doch noch abwenden könnten. Plötzlich fielen ihr die Worte von König Zash ein: „Ihr könnt mit seiner Hilfe einen mächtigen Wasserzauber beschwören...“
Eilig suchte sie in ihrem Rucksack nach dem Wasserkristall. Als sie den kühlen Stein ertastete, zog sie ihn hastig hervor. Intuitiv würde sie wissen, was zu tun sei, hatte Zash gesagt. Also hoffte sie einfach auf hilfreiche Magie. Sie schloss die Augen und hob den Kristall hoch über ihren Kopf.
Jayel spürte, wie der Kristall in ihren geschlossenen Händen kräftig zu pulsieren begann. Es fühlte sich an, als steckte sie ihre Hände in einen kalten Wasserwirbel. Und plötzlich spürte die Bardin, dass in dem Kristall eine Melodie wohnte, eine Variation des Ewigen Liedes. Sie war wie eine Vision des Wassers, plätschernd und kühl, zugleich kraftvoll und erfrischend. Unwillkürlich öffnete sie ihren Mund, und wie von allein formten ihre Stimmbänder die Melodie, die Jayel durch ihre Finger hindurch erspürte.
Jayel sang von der Urquelle, die einst entsprang; davon, wie das Wasser stärker floss und zu einem Bachlauf wurde, sich zu einem Fluss erweiterte und immer stärker und kraftvoller floss. Genau wie das Wasser wurde auch die Tonfolge immer kraftvoller, und Jayel spürte, dass sich in ihren Stimmbändern eine gewaltige Energie aufbaute. Jayel sang davon, wie der Fluss ins Meer strömte und wie gewaltige Wogen dahinpeitschten und im Norden zu
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