Das Exil Der Königin: Roman
entgegenkam, in denen sie besser war. War er wütend, weil sie zu seinem militärischen Leben gehören wollte? Vielleicht hatte er es als Erleichterung empfunden, von ihr wegzukommen, als er nach Odenford gegangen war und mit weniger … anspruchsvollen Menschen zusammengelebt hatte.
»Ich bin stärker als du glaubst«, beharrte Raisa. Nach all ihrem Training war sie das auch tatsächlich. »Hier. Wir müssen nicht gegeneinander kämpfen. Versuchen wir das hier.« Sie duckte sich unter dem immer noch waagerecht gehaltenen Stock hindurch, sodass sie sich im Innern des Kreises, den Amon mit seinen Armen bildete, und zwischen ihm und dem Stock befand. Sie wandte ihm den Rücken zu und packte den Stock mit beiden Händen, gleich neben den Stellen, an denen Amon ihn festhielt. »Überlass mir jetzt einen Teil des Gewichts, und dann versuchen wir ein paar Bewegungen.«
Amon stieß frustriert – und resigniert – einen langen Atemzug aus. Einen Moment später spürte sie das Gewicht des Stocks in ihren Händen. Amon sprach in ihr Ohr, und sie konnte seinen warmen Atem an ihrem Hals spüren. »Dreh dich nach rechts, schwing ihn nach oben, dann nach unten auf den Boden, stoß vorwärts. Dreh dich wieder, schnell nach links, und beuge dich in der Taille.«
Es war wie ein seltsamer Tanz, Rücken an Brust, bei dem man das Gesicht des Partners nicht sehen konnte, sondern nur seine Stimme hörte. Es fühlte sich überraschend gut an, wie sie so durch den Stock verankert und verbunden waren. Amon schien sich alle Mühe zu geben, nicht gegen sie zu stoßen. Allerdings drückte er seine Arme gegen ihre Schultern, und sie spürte, wie die Hitze seines Körpers die Kälte in ihr vertrieb.
Sie hörte nur das Pfeifen des Stocks und das Knistern des frostüberzogenen Grases unter ihren Füßen, das Geräusch ihrer Atemzüge. Ihre Haut prickelte jedes Mal, wenn sie sich berührten.
Nach und nach überließ Amon ihr immer mehr Gewicht. Raisa gab sich alle Mühe, den Stock in Bewegung zu halten, und sog dabei keuchend die kalte Luft ein, während sie in ihrer schweren Kleidung zu schwitzen begann.
Und dann passierte es. Sie rutschte auf einer vereisten Stelle auf dem Boden aus. Amon versuchte, einen Sturz abzufangen, doch ihre Beine verhedderten sich – und sie fielen. Er stürzte auf sie, konnte sich aber rechtzeitig abstützen und so verhindern, dass er sie platt drückte. Sie hörte ein lautes Klatschen, als der Stock etwas weiter weg auf den Boden fiel. Also gab es zumindest keinen selbst verursachten, zusätzlichen Hieb.
Raisa kicherte, und dann lachte sie und schnaubte vor Heiterkeit angesichts ihrer Unfähigkeit, sich befreien zu können. »W-wir sind schon ein gefährliches Paar, Amon Byrne.« Sie drückte ihm die Hände gegen die Brust – und dann bemerkte sie, dass er ganz und gar nicht lachte. In seinen grauen Augen wogte eine Mischung aus einander widersprechenden Gefühlen. Er schob die Hände unter ihren Kopf und küsste sie und drückte sie hart auf den gefrorenen Boden. Sie schlang ihm die Hände um den Hals und küsste ihn zurück.
Bei der Herrin, dachte sie. Ich liebe es wirklich, Amon Byrne zu küssen.
Er riss sich von ihr los und setzte sich auf. »Beim Blute des Dämons«, keuchte er. Sein Gesicht war aschfahl. Er beugte sich vornüber und wirkte beinahe krank. »Es tut mir leid, Hoheit. Wir können das nicht tun.«
Hoheit? Raisa blinzelte ihn an; sie fand, dass das eben das Beste war, was sie seit Langem getan hatten. Aber in diesem Moment erklang eine laute Stimme.
»Weg da von der Erbprinzessin.« Gleichzeitig war das metallische Flüstern von Schwertern zu hören, die aus ihren Scheiden gezogen wurden.
Raisa fuhr herum, riss ihr eigenes Schwert heraus und ging in die Hocke. Ein Dutzend Reiter kamen von den Bäumen her auf sie zu, und sie alle trugen die Tarnuniform von Kundschaftern der Wache der Königin. Einer hatte sich das Halstuch eines Korporals um den Hals gebunden; er kam ihr bekannt vor.
Amon rannte zum Waldrand, wo sein Schwert und seine Kleidungsstücke lagen, aber einer der Reiter wendete sein Pferd und preschte auf ihn zu. Er schwang einen großen Knüppel mit einem Dorn am Ende.
»Amon!«, rief Raisa.
Amon sprang zur Seite. Der Knüppel verfehlte seinen Kopf, prallte aber gegen seine Schulter, sodass er zu Boden stürzte.
Die anderen Wachen stiegen ab. Zwei von ihnen packten Amon an den Armen und rissen ihn hoch. Aus seiner Schulterwunde tropfte Blut auf den Boden.
Der Korporal
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