Das Experiment
aus. Obwohl sie die Notwendigkeit einsah, waren ihr Tierversuche unangenehm.
Edward hatte dem Rat des Bauunternehmers und des Architekten folgend die Anweisung gegeben, möglichst wenig über die Vorgänge im Labor nach außen dringen zu lassen. Er wollte keine Schwierigkeiten mit irgendwelchen Bauvorschriften oder dem Tierschutzverein. Daß das Gelände ziemlich geschützt lag, kam ihm sehr zustatten: Ein dichter, von einem hohen Zaun eingesäumter Wald verbarg es vor allzu neugierigen Blicken.
Gegen Ende der ersten Septemberwoche trafen nach und nach die anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter ein. Sie besorgten sich mit Edwards und Eleanors Hilfe Zimmer in den verschiedenen Pensionen in und um Salem. Ihre Dienstverträge sahen unter anderem vor, daß sie allein kommen mußten, ohne Familien, um ungestört rund um die Uhr arbeiten zu können. Als Ausgleich dafür konnte jeder von ihnen damit rechnen, Millionär zu werden, sobald die Aktien der Gesellschaft an der Börse gehandelt wurden.
Das erste auswärtige Teammitglied, das eintraf, war Curt Neuman. Das war am späten Vormittag, und Kim schickte sich an, zur Burg hinüberzugehen, als sie das gedämpfte Motorengeräusch eines Motorrads hörte.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« rief Kim durch das Fenster hinaus. Sie nahm an, daß es ein Lieferant sei, der die Abzweigung zum Labor verpaßt hatte.
»Entschuldigen Sie«, sagte er unsicher mit leichtem deutschem Akzent. »Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich das Omni-Labor finde.«
»Sie müssen Dr. Neuman sein«, sagte Kim. »Augenblick, ich komme gleich raus.« Edward hatte den Akzent erwähnt, als er Kim von Curt erzählt hatte. Sie wußte, daß er heute kommen sollte, hatte allerdings nicht damit gerechnet, daß der berühmte Wissenschaftler mit dem Motorrad eintreffen würde.
Kim klappte schnell ein paar Bücher mit Stoffmustern zu, die offen auf dem Tisch gelegen hatten, und sammelte die über die Couch verstreuten Zeitungen ein, um Curt Neuman hereinbitten zu können. Dann öffnete sie nach einem kurzen prüfenden Blick in den Flurspiegel die Tür.
Curt hatte den Helm abgenommen und hielt ihn jetzt wie ein mittelalterlicher Ritter in der Armbeuge. Aber er sah nicht Kim an, sondern blickte zum Labor hinüber. Edward hatte offenbar das Motorrad gehört. Er folgte mit dem Wagen über die ungeteerte Straße, bremste, sprang heraus und umarmte Curt wie einen lange vermißten Bruder.
Die beiden Männer unterhielten sich kurz über Curts metallicrote BMW, bis Edward schließlich bemerkte, daß Kim in der Tür stand. Er stellte sie Curt vor.
Kim schüttelte dem Wissenschaftler die Hand. Er war groß, gut fünf Zentimeter größer als Edward, hatte blondes Haar und auffällig hellblaue Augen.
»Curt stammt ursprünglich aus München«, sagte Edward. »Er hat in Stanford und an der UCLA studiert. Viele Leute, auch ich, halten ihn für den talentiertesten Biologen im ganzen Land.«
»Das reicht jetzt, Edward«, sagte Curt und wurde rot.
»Glücklicherweise konnte ich ihn Merck abwerben«, fuhr Edward fort. »Die waren so erpicht darauf, ihn zu behalten, daß sie angeboten haben, ihm ein eigenes Labor zu bauen.«
Kim sah voll Mitgefühl, wie der arme Curt verlegen Edwards Lobpreisungen über sich ergehen ließ, und mußte an ihre eigenen Reaktionen auf Stanton Lobpreisungen an jenem Abend denken, als sie sich beim Abendessen zum ersten Mal gesehen hatten. Für seine beeindruckende Größe, sein gutes Aussehen und die Intelligenz, die man ihm nachsagte, schien Curt erstaunlich schüchtern. Er vermied jeden Augenkontakt mit Kim.
»Genug geplaudert«, sagte Edward. »Komm Curt. Fahr mit deiner Himmelfahrtsmaschine hinter mir her. Ich möchte dir das Labor zeigen.«
Gerade als Kim und Edward ein spätes, leichtes Mittagessen beendet hatten, traf der zweite auswärtige Wissenschaftler ein. Edward hörte den Wagen vorfahren. Er stand auf, ging hinaus und kehrte kurz darauf mit einem großen, hageren, aber muskulösen Mann im Schlepptau zurück. Mit seinem dunklen Teint und seinem guten Aussehen schien er Kim eher ein Tennisprofi als ein Wissenschaftler zu sein.
Edward stellte sie einander vor. Der Neuankömmling hieß François Leroux. Zu Kims Überraschung beugte er sich über ihre Hand und deutete einen Handkuß an, ohne dabei ihren Handrücken zu berühren. Sie verspürte nur den leichten Hauch seines Atems auf der Haut.
Ebenso wie er es mit Curt gemacht hatte, pries Edward jetzt François’ Verdienste
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