Das Experiment
Stanton ausreichend Kapital beschaffen.«
»Ich hoffe, daß wenigstens Ultra aufgegeben wurde«, sagte Kim.
»Nein, natürlich nicht«, erklärte Edward. »Das ist die andere Stoßrichtung unserer Forschungsarbeit: Wir versuchen herauszufinden, welcher Teil des Ultra-Moleküls für die mesolimbische Zerebralblockade verantwortlich ist, die wir als den ›Mr. Hyde-Effekt‹ bezeichnet haben.«
»Ich verstehe«, nickte Kim und setzte schon dazu an, ihnen Glück zu wünschen, brachte es dann aber nicht übers Herz. Nicht nach all dem Leid, das Ultra bereits verursacht hatte.
Kim verabschiedete sich und versprach, bald wiederzukommen, als sie merkte, daß Edwards Blick glasig wurde. Dann vollzog sich an seinem ganzen Gesicht eine totale Veränderung, wie in jener Nacht, in der sie ihn geweckt hatte. Im nächsten Augenblick war er von unkontrollierbarer Wut beherrscht.
Er versuchte, sich auf Kim zu stürzen, und prallte unsanft gegen die dicke Glasscheibe.
Kim machte erschreckt einen Satz zurück, und Gloria reagierte, indem sie schnell Edwards IV öffnete.
Einen Moment kratzte Edward vergebens am Glas. Dann wurde sein Gesicht schlaff, und seine Augen rollten nach oben. Im Zeitlupentempo sackte er zusammen wie ein Ballon, aus dem langsam die Luft entwich. Gloria sorgte geschickt dafür, daß er weich auf dem Boden landete.
»Es tut mir leid«, meinte Gloria, während sie Edwards Kopf auf ein Kissen bettete. »Ich hoffe, er hat Sie nicht zu sehr erschreckt.«
»Ist schon gut«, brachte Kim hervor, aber ihr Herz schlug wiewild, und sie zitterte. Vorsichtig trat sie näher ans Fenster und blickte auf den am Boden liegenden Edward. »Was würde denn passieren, wenn Sie beide gleichzeitig einen Anfall hätten?« fragte Kim.
»Darüber haben wir schon nachgedacht«, meinte Gloria. »Unglücklicherweise ist uns bis jetzt noch nichts eingefallen, aber bis jetzt ist es auch nicht vorgekommen.«
»Ich bewundere Ihre Seelenstärke«, sagte Kim.
»Ich glaube nicht, daß wir eine große Wahl haben«, meinte Gloria.
Kim verabschiedete sich und ging. Sie war bedrückt. Als sie mit dem Aufzug hinunterfuhr, spürte sie, wie ihre Beine zitterten. Als sie dann in die warme Frühlingssonne hinaustrat, fühlte sie sich wieder wohler. Im Freien zu sein tat gut. Trotzdem sah sie vor ihrem inneren Auge immer noch das Bild, wie Edward gegen die Glasscheibe seines selbstverordneten Gefängnisses krachte.
Bevor Kim losfuhr, warf sie noch einmal einen Blick auf das Haus. Was für Präparate würde die Firma wohl in Zukunft auf die Welt loslassen? Sie schauderte. Sie gelobte sich, im Hinblick auf Medikamente aller Art in Zukunft noch konservativer zu sein.
Als sie den Parkplatz verließ, tat Kim etwas, das sie überraschte. Statt nach Boston zurückzufahren, wie sie das geplant hatte, schlug sie eine andere Richtung ein. Nach dem bedrückenden Erlebnis bei OMNI verspürte sie einen unwiderstehlichen Drang, zu ihrem Grundstück hinauszufahren, wo sie seit ihrem Besuch mit Kinnard nicht mehr gewesen war.
Da nur wenig Verkehr herrschte, stand Kim eine halbe Stunde später vor ihrem Cottage. Sie verspürte ein seltsames Gefühl der Erleichterung, als würde sie von einer anstrengenden Reise nach Hause zurückkehren.
Sie sperrte auf und trat ein. Als sie in den schwach beleuchteten Salon trat, blickte sie zu dem Portrait Elizabeths auf. Das intensive Grün ihrer Augen und ihre entschlossene Kinnpartie waren genauso, wie Kim sie in Erinnerung hatte, aber da war noch etwas anderes, etwas, das sie bisher nicht gesehen hatte: Es hatte den Anschein, als würde Elizabeth lächeln!
Kim drehte sich um und blickte aus dem Fenster. Und in dem Augenblick faßte sie den Entschluß, wieder in das Cottage zu ziehen.
Ausgewählte Bibliographie
1. Boyer and Nissenbaum, Salem Possessed. Cambridge, MA. Harvard University Press, 1974.
Für diejenigen, die möglicherweise Lust bekommen haben, mehr über die Hexenperiode Salems zu lesen, ist dieses Buch eines von zweien, das ich empfehlen möchte. Ich bin sicher, daß Kim und Edward mir darin aus ganzem Herzen beipflichten würden. Es ist faszinierend und zeigt, wie man Geschichte zum Leben erwecken kann, wenn man sich ursprüngliche Quellen erschließt, die mit gewöhnlichen Bürgern zu tun haben. Das Buch vermittelt einen unterhaltsamen Einblick in das Leben in Neuengland während der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
2. Hansen, Chadwick, Witchcraft at Salem. New York. George Braziller,
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