Das Experiment
kurz, aber in den höchsten Tönen. Aber François schien im Gegensatz zu Curt Edwards Lob nichts auszumachen. Während Edward schwadronierte, musterten seine dunklen, durchdringenden Augen Kim auf eine Art und Weise, die sie verlegen machte.
»Kurz gesagt, François ist ein Genie«, sagte Edward. »Er ist Biophysiker, stammt aus Lyon in Frankreich und hat in Chicago studiert. Von seinen Kollegen unterscheidet ihn, daß er sich sowohl auf Kernspintomographie als auch auf Röntgen-Kristallographie spezialisiert hat. Er hat es geschafft, zwei normalerweise miteinander konkurrierende Technologien zu kombinieren.«
Kim sah an diesem Punkt von Edwards Lobrede ein leichtes Lächeln über François’ Gesicht huschen. Außerdem hatte er sich leicht zu Kim hin verbeugt, wie um hervorzuheben, daß alles, was Edward sagte, den Tatsachen entsprach. Kim wandte sich ab. Ihrem Gefühl nach war dieser François ein wenig zu sehr von sich eingenommen.
»François’ Arbeit wird uns helfen, bei den Forschungsarbeiten viel Zeit zu sparen«, fuhr Edward fort. »Wir können wirklich von Glück sagen, ihn hier zu haben. Das ist ein Verlust für Frankreich und ein Gewinn für uns.«
Ein paar Minuten später verließ Edward mit François das Haus, um ihn zum Labor zu bringen. Er wollte, daß Françoismöglichst bald die Anlage zu sehen bekam und Curt kennenlernte. Kim sah ihnen vom Fenster aus nach. Es erschien ihr unbegreiflich, daß zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten eine so ähnliche berufliche Entwicklung durchgemacht hatten.
Die letzten beiden Wissenschaftler des Kernteams trafen am Samstag, dem 10. September, mit dem Zug aus Boston ein. Edward und Kim standen gemeinsam als Begrüßungskomitee auf dem Bahnsteig, als der Zug einfuhr.
Edward sah die beiden zuerst und winkte ihnen zu. Als sie auf Edward und Kim zugingen, fragte Kim Edward scherzend, ob zu den Einstellkriterien auch gutes Aussehen gehört habe.
»Wie bitte?« fragte Edward.
»Alle deine Leute sehen so gut aus«, sagte Kim.
»Das ist mir gar nicht aufgefallen«, sagte Edward.
Edward stellte Kim Gloria Hererra und David Hirsh vor, und sie schüttelten einander die Hand.
Gloria paßte ebenso wie Eleanor nicht in Kims Klischeevorstellung einer Wissenschaftlerin. Aber das war auch der einzige Punkt, in dem die beiden sich ähnelten. Ansonsten waren sie sowohl im Aussehen als auch im Wesen völlig verschieden. Im Gegensatz zu der hellen Eleanor war Gloria dunkelhäutig, sie hatte ebenso dunkles Haar wie Kim, und ihre schwarzen Augen konnten fast genauso durchdringend blicken wie die von François. Und anders als die kühle, zurückhaltende Eleanor war Gloria warm und freimütig.
David Hirsh erinnerte Kim an François. Er war groß und schlank wie jener und hatte das selbstbewußte Auftreten eines Sportlers. Sein Teint war ebenfalls dunkel, aber nicht ganz so wie der von François. Auch er war weltgewandt, aber freundlicher, da er nicht so anmaßend war und sein freundliches Lächeln auf eine humorvolle Persönlichkeit deutete.
Unterwegs schilderte Edward Glorias und Davids Leistungen ähnlich detailliert und überschwenglich, wie er das vorher schon bei Curt und François getan hatte. Gloria und David versicherten Kim freilich, daß Edward übertreibe. Dann wandte sich das Gespräch Edward zu, und am Ende wußte Kim lediglich mit Sicherheit, daß Gloria Pharmakologin und David Immunologe war.
Als sie das Anwesen erreicht hatten, setzte Edward Kim beim Cottage ab. Kim stieg gutgelaunt aus und freute sich für Edward;sie war überzeugt, daß Gloria und David einen guten Einfluß auf das Betriebsklima haben würden.
Am folgenden Tag, dem 11. September, veranstalteten Edward und seine Mitarbeiter eine kleine Feier, zu der Kim eingeladen wurde. Sie entkorkten eine Flasche Champagner und stießen auf den Erfolg von Ultra an. Wenige Minuten später machten sie sich mit geradezu wütendem Eifer an die Arbeit.
Im Laufe der nächsten Tage besuchte Kim das Labor häufig, um moralische Unterstützung zu leisten und sich zu vergewissern, daß es keine Probleme gab, bei deren Lösung sie vielleicht helfen konnte. Ihre Position schien ihr irgendwo in der Mitte zwischen der einer Gastgeberin und einer Vermieterin zu liegen. Im Laufe der Woche reduzierte sie ihre Besuche erheblich, weil man ihr immer öfter das Gefühl vermittelt hatte zu stören.
Edward war da auch nicht anders. Am vergangenen Freitag hatte er ihr geradeheraus gesagt, daß es ihm lieber sei, wenn sie
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