Das Experiment
leid, Sie vergeblich so bemüht zu haben«, sagte sie.
»Nun, ich habe noch nicht so schnell aufgegeben«, sagte Gertrude. »So etwas gibt es bei mir nicht. Wenn ich mich einmal auf etwas eingelassen habe, dann gebe ich keine Ruhe. Ich habe mir die alten Karten aus der Zeit, in der die Bibliothek eingerichtet worden war, angesehen. Das war recht mühsam, aber ich habe tatsächlich einen weiteren Hinweis gefunden, was ich allerdings mehr dem Glück als sonst etwas zuschreibe, höchstens vielleicht noch meiner Hartnäckigkeit. Ich weiß wirklich nicht, warum es nicht im Hauptregister erwähnt ist.«
Kims Hoffnung stieg wieder. Die Verfolgung dieser Spur war eine emotionale Achterbahn. »Ist das Werk noch hier?« fragte sie.
»Du liebe Güte, nein!« erwiderte Gertrude indigniert. »Dann wäre es ja im Computer gewesen. Hier herrscht Ordnung. Nein, der letzte Hinweis, den ich fand, deutete darauf hin, daß man es 1826 an die medizinische Fakultät geschickt hat. Offenbar wußte niemand, was er mit dem Material anfangen sollte. Das ist allesäußerst mysteriös, weil ich nicht den geringsten Hinweis darauf finden konnte, in welche Kategorie es gehört.«
»Ach, herrje!« sagte Kim enttäuscht. »Die Suche nach diesem Buch, oder was es auch sonst sein mag, kommt mir langsam wie ein schlechter Scherz vor.«
»Kopf hoch!« forderte Gertrude sie auf. »Ich habe mir Ihretwegen große Mühe gegeben und habe sogar die medizinische Fakultät angerufen und dort mit John Moldavian gesprochen, der für seltene Bücher und Manuskripte verantwortlich ist. Ich habe ihm die ganze Geschichte erzählt, und er hat mir versprochen, daß er sich sofort darum kümmern würde.«
Kim bedankte sich und fuhr mit der Red Line wieder nach Boston zurück.
Inzwischen hatte die Stoßzeit begonnen, und Kim mußte sich in den Zug zwängen. Es gab keine freien Sitzplätze, also mußte sie stehen. Als der Zug dann über die Longfellow Brücke donnerte, begann Kim ernsthaft zu überlegen, ob sie nicht die ganze Suche aufgeben sollte.
Sie stieg in ihren Wagen, den sie in der Tiefgarage des Krankenhauses abgestellt hatte, ließ den Motor an und dachte erst dann an den dichten Verkehr, mit dem sie auf dem Wege nach Salem zu rechnen hatte. Um die Zeit würde sie wahrscheinlich eine halbe Stunde brauchen, um bloß die Leverettkreuzung hinter sich zu bringen.
Kim lenkte ihren Wagen schnell entschlossen in die entgegengesetzte Richtung und nahm Kurs auf die medizinische Bibliothek. Anstatt im Verkehr festzustecken, konnte sie ebensogut Gertrude Havermeyers Hinweis nachgehen.
John Moldavian wirkte auf sie wie ein Mann, der die geradezu idealen Voraussetzungen für die Arbeit in einer Bibliothek mitbrachte. Er war von sanfter Wesensart und sprach leise, und sein vorsichtiger Umgang mit Büchern ließ sofort erkennen, wie sehr er sie liebte.
Kim stellte sich vor und berichtete von ihrem Gespräch mit Gertrude Havermeyer, worauf John Moldavian sofort auf seinem mit Büchern und Papieren überhäuften Schreibtisch zu suchen anfing.
»Ich habe hier etwas für Sie«, sagte er. »Wo habe ich es nur hingetan?«
Kim sah ihm zu, wie er zwischen den Papierstapeln wühlte. Sein schmales Gesicht war von seiner dicken schwarzen Brillenfassung beherrscht, und sein dünner Schnurrbart sah fast zu perfekt aus, so als habe er ihn mit einem Augenbrauenstift gezogen.
»Ist das Rachel-Bingham-Werk hier in der Bibliothek?« fragte Kim schließlich.
»Nein, da ist es nicht mehr«, antwortete Moldavian, und dann hellte sich sein Gesicht auf: »Ah, da ist jetzt, was ich gesucht habe.« Er zog ein Blatt Papier hervor und hielt es ihr hin.
Kim seufzte innerlich. Wieder nichts.
»Ich habe mir die Akten der medizinischen Bibliothek von 1826 durchgesehen«, sagte Moldavian. »Dabei habe ich diesen Hinweis auf das Werk gefunden, das Sie suchen.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Kim. »Es ist woanders hingeschickt worden.«
Moldavian sah Kim über das Blatt in seiner Hand hinweg an. »Wie haben Sie das erraten?« fragte er.
Kim lachte. »Das hat sich inzwischen zu einer Art Schema entwickelt«, sagte sie. »Wohin hat man es von hier geschickt?«
»In die anatomische Abteilung«, sagte Moldavian. »Heute nennt sich das Abteilung für Zellbiologie.«
Kim schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum in aller Welt denn dorthin?« fragte sie, obwohl sie wußte, daß das nur eine rhetorische Frage sein konnte.
»Keine Ahnung«, erwiderte Moldavian. »Der Eintrag, den ich gefunden
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