Das Experiment
schwer. Kim nannte einer Sekretärin ihrer Namen, worauf diese ihr sagte, sie müsse warten. Aber kaum hatte Kim sich gesetzt, erschien eine große, schlanke, auffallend attraktive schwarze Frau in einem Verbindungsgang und winkte sie in ihr Büro.
»Ich bin Helen Arnold, ich habe gute Nachrichten für Sie«, sagte die Frau geradezu begeistert und führte Kim in ihr Büro, wo sie ihr einen Stuhl anbot.
»Ich habe heute morgen mit Ms. Sturburg gesprochen, übrigens einer wunderbaren Frau, und sie hat mir erzählt, daß Sie sich für ein Werk von Rachel Bingham interessieren.«
Kim nickte nur, während die Frau mit Maschinengewehrgeschwindigkeit auf sie einredete.
»Haben Sie’s gefunden?« fragte Kim, als Helen schließlich innehielt.
»Ja und nein«, lächelte Helen. »Die gute Nachricht ist, daß ich Katherine Sturburgs Vermutung bestätigen konnte – das Werk hat den Brand von 1764 überlebt. In dem Punkt bin ich absolut sicher. Allem Anschein nach war das Buch mehr oder weniger permanent im Gewahrsam eines der Tutoren, der nicht in der Old Harvard Hall wohnte. Das ist doch eine gute Nachricht, oder?«
»Das freut mich«, nickte Kim. »Ich bin sogar entzückt. Aber Sie haben sich recht einschränkend auf meine Frage geäußert, ob Sie es gefunden hätten. Was meinen Sie mit ›ja und nein‹?«
»Daß ich zwar das Buch selbst nicht gefunden habe, aber einen Hinweis darauf, daß das Werk tatsächlich existiert. Ich erfuhr auch, daß es Schwierigkeiten bei der Registrierung des Werkes gegeben hat. Obwohl es etwas mit Kirchenrecht zu tun hat, wie das ja der Brief von Increase Mather schon andeutet. Übrigens, ich halte diesen Brief für einen fabelhaften Fund, und wie ich höre, haben Sie angeboten, ihn Harvard zu stiften. Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
»Im Hinblick auf all die Mühe, die ich Ihnen mache, ist das wohl das wenigste«, sagte Kim. »Aber was ist mit dem Rachel-Bingham-Werk? Weiß irgendjemand, wo es sein könnte?«
»Ja, so jemanden gibt es«, sagte Helen. »Nachdem ich noch ein wenig herumgesucht habe, fand ich schließlich heraus, daß das Buch 1825 von der juristischen Bibliothek an die theologische Fakultät überstellt worden ist, gleich nach dem Bau der Divinity Hall. Ich weiß nicht, warum, aber vielleicht hatte das etwas mit den Katalogisierungsproblemen hier in der juristischen Bibliothek zu tun.«
»Großer Gott!« rief Kim aus. »Was für eine Reise dieses Buch hinter sich hat!«
»Ich habe mir die Freiheit genommen, meine Kollegin drüben in der theologischen Bibliothek anzurufen«, erklärte Helen Arnold. »Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.«
»Aber ganz und gar nicht«, wehrte Kim ab, die froh war, daß die Bibliothekarin die Initiative ergriffen hatte.
»Ihr Name ist Gertrude Havermeyer«, fuhr Helen fort. »In gewisser Weise ist sie eine Schreckschraube, aber sie hat ein gutes Herz. Sie hat mir versprochen, sich sofort darum zu kümmern.« Helen Arnold griff nach einem Stift und schrieb Kim den Namen und die Telefonnummer auf und kreuzte dann auf einem Plan des Campus von Harvard die theologische Fakultät an.
Ein paar Minuten später stand Kim vor Gertrude Havermeyers Büro.
»Sie sind also schuld daran, daß ich einen ganzen Nachmittag verschwendet habe«, sagte Gertrude Havermeyer, als Kim sich vorstellte. Sie stand mit auf die Hüften gestemmten Händen vorihrem Schreibtisch. Wie Helen Arnold schon angedeutet hatte, strahlte die Frau eine Aura strenger Kompromißlosigkeit aus, was in krassem Widerspruch zu ihrer schmächtigen Gestalt, ihrem weißen Haar und der starken Brille stand, durch die sie Kim musterte.
»Tut mir leid, daß Sie sich meinetwegen so viel Mühe gemacht haben«, sagte Kim schuldbewußt.
»Seit Helen Arnolds Anruf hatte ich keine Sekunde Zeit für meine eigene Arbeit«, beklagte sich die Bibliothekarin. »Es hat mich Stunden gekostet.«
»Dann hoffe ich, daß all die Mühe wenigstens nicht vergebens war«, versuchte Kim sie zu besänftigen.
»Ich habe in einem Journal aus jener Zeit eine Quittung gefunden«, erklärte Gertrude Havermeyer. »Helen hatte recht. Das Rachel-Bingham-Werk ist von der juristischen Fakultät hierher geschickt worden und auch in der theologischen Fakultät angekommen. Aber bedauerlicherweise konnte ich weder im Computer noch in der alten Kartei, ja nicht einmal in dem sehr alten Katalog, den wir im Keller aufbewahren, irgendeinen Hinweis auf das Buch finden.«
Kim war enttäuscht. »Es tut mir wirklich
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