Das Experiment
klarzumachen versucht«, sagte Kim. »Aber stur, wie er ist, will er natürlich nichts davon wissen.«
»Wenigstens ist er trotz seiner Sturheit ganz sympathisch und unterhaltsam«, stellte Edward fest. »Als er seinen endlosen Trinkspruch auf mich losgelassen hat, hat er natürlich maßlos übertrieben; aber wie steht es eigentlich bei dir? Läßt sich die Geschichte deiner Familie wirklich bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückverfolgen?«
»Ja, das ist wahr«, antwortete Kim.
»Da ist faszinierend«, staunte Edward. »So was beeindruckt mich wirklich. Ich wäre schon froh, wenn ich nur die letzten zwei Generationen meiner Familie rekonstruieren könnte – aber vermutlich müßte ich mich meiner Herkunft schämen.«
»Ich finde es bei weitem beeindruckender, mit Ach und Krach den Schulabschluß zu schaffen und danach als erfolgreicher Wissenschaftler zu arbeiten«, entgegnete Kim. »Du hast einen Erfolg allein deiner eigenen Initiative zu verdanken. Ich hingegen bin nur in die Familie der Stewarts hineingeboren und habe mich nie ernstlich anstrengen müssen.«
»Und was hat es mit dieser Hexe in Salem auf sich?« wollte Edward wissen. »Ist das wahr, was Stanton vorhin erzählt hat?«
»Ja«, gestand Kim. »Aber darüber rede ich nicht gern.«
»Oh, Entschuldigung«, sagte Edward schnell und fing sofort wieder an zu stottern. »Bitte, verzeih mir. Ich kapiere zwar nicht, wieso dir die Geschichte Probleme bereitet, aber ich hätte natürlich nicht davon anfangen sollen.«
Kim schüttelte ihren Kopf. »Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen«, sagte sie. »Ich reagiere wohl nicht ganz normal, wenn diese Hexengeschichte zur Sprache kommt. Ich muß auch gestehen, daß ich keine Ahnung habe, warum ich so stark darauf reagiere. Wahrscheinlich liegt es an meiner Mutter. Sie hat mir eingebleut, daß dieses Thema für uns tabu ist. Sie hält die Geschichte für einen Schandfleck auf unserem Familiennamen.«
»Aber das Ganze liegt doch mehr als dreihundert Jahre zurück«, entgegnete Edward.
»Du hast völlig recht«, sagte Kim und zuckte mit den Schultern. »Es hat wirklich keinen Sinn, sich darüber aufzuregen.«
»Weißt du etwas Näheres über die Geschichte?« fragte Edward.
»Ich kenne nur die wesentlichen Fakten«, antwortete Kim. »Die wahrscheinlich jeder in Amerika kennt.«
»Zufällig weiß ich ein bißchen mehr über die Hexenprozesse von Salem als der Normalbürger«, bemerkte Edward. »Harvard University Press hat ein Buch zu dem Thema herausgebracht, das von zwei hervorragenden Historikern geschrieben wurde. Es heißt Salem Possessed. Einer meiner Studenten hat mich bedrängt, das Buch zu lesen, weil es irgendeine wichtige Auszeichnung bekommen hat. Deshalb habe ich es gelesen, und ich habe es tatsächlich begeistert verschlungen. Soll ich es dir mal leihen?«
»Ja, das wäre nett«, erwiderte Kim aus reiner Höflichkeit.
»Ich meine es ernst«, beharrte Edward. »Das Buch ist sehr spannend, und vielleicht siehst du die Geschichte danach in einem anderen Licht. Die sozialen, politischen und religiösen Aspekte, die in dem Buch angesprochen werden, sind sehr aufschlußreich. Ich habe jedenfalls eine Menge gelernt. Wußtest du zum Beispiel, daß nur wenige Jahre nach den Hexenprozessen einige der Geschworenen und sogar einige der Richter ihre Urteile öffentlich widerrufen und um Verzeihung gebeten haben, weil sie wußten, daß unschuldige Menschen hingerichtet worden waren?«
»Ach, tatsächlich?« sagte Kim höflich.
»Aber nicht nur die Tatsache, daß man einfach unschuldige Menschen hingerichtet hat, hat mich beschäftigt«, fuhr Edward fort. »Manchmal ist es ja so, daß ein Buch zu einem bestimmten Thema einen besonders fesselt, und man sucht nach weiteren Informationen. So kam es, daß ich Poison of the Fast gelesen habe, in dem eine höchst interessante Theorie entwickelt wird – eine Theorie, die vor allem einen Neurowissenschaftler wie mich fasziniert. In dem Buch wird vermutet, daß einiger der jungen Frauen aus Salem, die von seltsamen ›Anfällen‹ heimgesucht wurden und die die hingerichteten Frauen der Hexerei beschuldigt hatten, in Wahrheit einem Gift zum Opfer gefallen sind. Man nimmt an, daß sie mit ihrer Nahrung einen Schimmelpilz aufgenommen haben, der unter dem Namen Claviceps purpurea bekannt ist. Claviceps purpurea ist ein Pilz, der vor allem Getreide befällt; insbesondere Roggen ist für diesen giftigen Schimmelpilz ziemlich anfällig.«
Obwohl Kim
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