Das Experiment
des menschlichen Gehirns zu ergründen – ein ergiebiges und zukunftsträchtiges Forschungsgebiet. In seinem Fach ist Edward eine Koryphäe. In Wissenschaftskreisen wird er längst wie ein Star gefeiert, und die Harvard University hat es gerade erst geschafft, ihn aus Stanford abzuwerben und wieder zurückzuholen. Da wir übrigens gerade vom Teufel sprechen – da kommt er ja endlich.«
Kim drehte sich um und sah einen großen, breit gebauten, aber noch recht jungenhaft aussehenden Mann auf ihren Tisch zu steuern. Wie sie gerade gehört hatte, war er mit Stanton im gleichen Semester gewesen; also mußte er um die Vierzig sein, doch er wirkte erheblich jünger. Er hatte rotblondes Haar und ein breites, sonnengebräuntes Gesicht, in dem noch keine Fältchen zu erkennen waren. Er ging leicht gebeugt, fast so, als ob er Angst hätte, sich den Kopf an irgendeinem Balken zu stoßen.
Stanton sprang auf und begrüßte ihn ebenfalls mit einer stürmischen Umarmung. In typischer Männermanier klopfte er ihm dann noch ein paarmal kumpelhaft auf die Schulter.
Kim fand den Neuankömmling auf der Stelle sympathisch, denn sie registrierte sofort, daß Edward sich angesichts dieserübertrieben herzlichen Begrüßung genauso unwohl fühlte wie sie selbst vor ein paar Minuten.
Stanton stellte seinen Gast kurz vor, woraufhin Edward den beiden Frauen kurz die Hand reichte und sich dann setzte. Er stotterte leicht und strich sich nervös das Haar aus der Stirn.
»Es tut mir schrecklich leid, daß ich mich verspätet habe«, entschuldigte sich Edward. Er hatte Schwierigkeiten, das »sch« richtig auszusprechen.
»Ihr seid wirklich aus dem gleichen Holz geschnitzt«, sagte Stanton lachend und wandte sich an Edward. »Meine hinreißende, talentierte und sexy Cousine hat vor fünf Sekunden genau das gleiche gesagt.«
Kim spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. Das konnte ja ein heiterer Abend werden. Stanton war wirklich ein ungehobelter Kerl, doch es half nichts: Man mußte ihn nehmen, wie er war.
»Ganz ruhig, Ed«, fuhr Stanton fort, während er seinem Gast ein Glas Wein einschenkte. »Du bist nicht zu spät. Ich hatte doch gesagt, wir treffen uns gegen sieben. Du kommst also genau richtig.«
»Ich dachte nur, ihr wartet schon alle auf mich«, entgegnete Edward. Dann lächelte er schüchtern und hob sein Glas, als ob er einen Toast ausbringen wollte.
»Eine gute Idee«, bemerkte Stanton und griff ebenfalls nach seinem Glas. »Ich möchte einen Trinkspruch vorschlagen. Zuerst sollten wir auf meine liebe Cousine Kimberly Stewart anstoßen. Sie ist zweifellos die beste Krankenschwester der chirurgischen Intensivstation im Massachusetts General Hospital.« Während alle anderen erwartungsvoll ihre Gläser hielten, richtete sich Stanton nun direkt an Edward. »Wenn man dir jemals die Prostata zusammenflicken muß, dann solltest du darum beten, daß Kimberly gerade Dienst hat. Sie ist berühmt für ihre Perfektion beim Anlegen von Kathetern.«
»Stanton, ich bitte dich!« protestierte Kim.
»Okay, okay«, sagte Stanton und machte mit seiner freien Hand eine abwehrende Bewegung, als wolle er sein Publikum zur Ruhe bringen. »Laßt mich meinen Toast auf Kimberly zu Ende bringen. Ich halte es für meine Pflicht, euch auf keinen Fall vorzuenthalten, daß der Stammbaum meiner verehrten Cousine bis fast in die Zeiten der Mayflower zurückreicht. Das ist natürlich die väterliche Seite. Mütterlicherseits läßt sich die Geschichte ihrer Familie bis zum Unabhängigkeitskrieg zurückverfolgen. Diesem weniger bedeutenden Zweig der Familie entstamme übrigens auch ich – wenn ich das noch kurz hinzufügen darf.«
»Stanton, nun hör doch endlich auf«, bat Kim ihren Cousin. Die Situation wurde zunehmend peinlicher.
»Aber es gibt doch noch mehr zu berichten«, fuhr Stanton unbeirrt fort. Er wirkte wie ein geübter Abendgesellschaftsredner. »Schon 1671 hat der erste Vorfahre von Kimberly an unserem guten, alten Harvard College seinen Abschluß gemacht. Es war niemand anders als Sir Ronald Stewart, der sowohl die Maritime Ltd. als auch die heutige Stewart-Dynastie gegründet hat. Doch die schillerndste Figur in Kimberlys Familie ist eine Vorfahrin ihrer Urgroßmutter; vor dreihundert Jahren ist nämlich eine Stewart der Hexerei beschuldigt und in Salem gehängt worden. Wenn das nicht amerikanische Geschichte ist, dann weiß ich nicht, was sonst!«
»Jetzt reicht’s aber, Stanton!« fuhr Kim wütend dazwischen und vergaß für
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