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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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überlege fieberhaft. Das Mädchen ist derselbe Typ wie Anne, sie hat die gleiche Frisur, eine ähnliche Figur. Wieder stelle ich mir die Frage: Wie viele von ihr mag es in Leyden geben?
    Hundert? Mehr? Viel mehr?
    Das Mädchen ist vor ihrer Haustür angekommen. Ich sehe ihr aus sicherer Entfernung dabei zu, wie sie in ihrer Tasche wühlt und vermutlich nach ihrem Schlüssel sucht, dann entnervt aufgibt und klingelt. Nach ein paar Sekunden drückt sie die Haustür auf und verschwindet.
    Ich gehe rasch zur Haustür und hoffe, dass ich mir das Klingelschild richtig gemerkt habe. Wenn es das richtige ist, heißt das Mädchen mit Nachnamen Johansson wie die amerikanische Schauspielerin. Und schon wieder habe ich das Gefühl, dass jemand hinter mir steht. Ich spüre seine aggressiven Vibrationen.
    Ich drehe mich um, aber es ist niemand da. Ich blicke lange die Straße hinauf und hinunter. Es gibt einige Möglichkeiten, sich hier zu verstecken, zum Beispiel hinter diversen Mülltonnen, die auf der Straße zur Abholung bereitstehen. Ich sehe hinter jede einzelne.
    Nichts.
    Es hat begonnen zu regnen. Ich gehe wieder zurück zum Lessingdamm. Mittlerweile ist es sieben Uhr und ich beschließe, in einem Lokal etwas zu essen und anschließend ins »Jensen« zu gehen.
    Mir ist klar, dass man mich dort erkennen könnte, dass eventuell sogar Zivilpolizisten abgestellt wurden und dass Männer in meinem Alter im »Jensen« ohnehin auffallen, weil die Gäste im Schnitt zwei bis drei Jahrzehnte jünger sind. Aber ich muss das Risiko eingehen. Die Zeit läuft mir davon.

7
    Ich esse in einem griechischen Imbisslokal einen üppigen Vorspeisenteller und trinke Pfefferminztee, um ganz klar im Kopf zu bleiben. Außer mir ist niemand hier, nur der Besitzer. Er versucht, ein Gespräch mit mir anzufangen. Ich gehe darauf ein, weil ich nicht merkwürdig und abweisend wirken will.
    »Ganz schön kalt«, sagt er.
    »Heute Nacht könnte es schneien«, antworte ich. Meine Stimme klingt ungewohnt, und mir wird klar, dass ich mich seit einer Woche das erste Mal wieder mit einem Menschen unterhalte.
    Jetzt merke ich, dass ich es vermisst habe. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mich vorsehen muss. Einsamkeit macht gesprächig, und nur weil der Mann Grieche ist, heißt das nicht, dass er nicht schon irgendwo mein Fahndungsfoto gesehen hat.
    »Ich glaube, der Winter kommt dieses Jahr sehr früh«, sagt der Besitzer. Er steht hinter der verglasten Theke und wischt emsig und routiniert seine Arbeitsplatte ab. Der Lappen hat seine besten Zeiten längst hinter sich gebracht, aber das stört mich nicht. Wichtig ist, dass die eingelegten Gemüseteile köstlich schmecken.
    »Warum glauben Sie das?«, frage ich, breche mir ein Stück von dem knusprigen Fladenbrot ab und wische den öligen Teller aus.
    »Ich rieche das«, sagt der Besitzer.
    Er trägt ein weißes, erstaunlich sauber und frisch aussehendes Hemd. Seine Haare sind kurz und stark gelockt, die dichten,aber akkurat geformten Augenbrauen sehen aus wie gezupft. Ich schätze ihn auf Anfang, Mitte vierzig.
    »Wie lange haben Sie geöffnet?«, frage ich, um im Gespräch zu bleiben.
    »Bis Mitternacht«, antwortet er. »Geisterstunde«, fügt er lächelnd hinzu, legt den Lappen weg, trocknet sich die Hände ab und stützt sich mit den Ellbogen auf seine Theke, als wollte er mich genauer in Augenschein nehmen.
    Ich bin auch seit einer Woche nicht mehr angelächelt worden. Erstaunlich, wie ich danach hungere, wo es mir doch nie besonders wichtig war, gemocht zu werden. Ich war immer ein Fremder unter lauter Gleichen. Wer mich sympathisch oder attraktiv fand, fiel auf meine Tarnung herein. Wer mich durchschaute, musste mich hassen.
    »Was haben Sie heute noch vor?«, fragt der Besitzer, und ein Adrenalinstoß durchfährt mich. Beinahe zucke ich zusammen, dann überzeugt mich sein offenes und freundliches Gesicht davon, dass die Frage völlig harmlos gemeint war.
    »Mal sehen«, sage ich so unbefangen wie möglich. »Vielleicht noch etwas trinken.«
    »Das können Sie doch auch hier.«
    Ich lache, fühle mich aber unbehaglich dabei. Vielleicht ist das doch eine Art Hinterhalt? Der Besitzer verschwindet kurz in einem Raum hinter der Theke, den ich nicht einsehen kann. Misstrauen schießt in mir hoch wie eine Stichflamme, aber bevor ich mich verdrücken kann, kommt er wieder hinter der Theke hervor, mit einer Flasche Raki und zwei Gläsern.
    »Es ist schwierig, hier Freunde zu finden«, sagt er, während er sich an

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