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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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ist keine Privatperson mehr mit Rechten, eigentlich überhaupt keine Person mehr, sondern Gegenstand einer Ermittlung.
    Sina und Birgit Salfeld setzen sich an den Küchentisch am Fenster. Alles ist sauber und aufgeräumt. Die Küche ist sehr chic und modern, auch der Rest der Wohnung ist auf dem neuesten Stand und hat dabei trotzdem sein Altbauflair behalten. Es ist eine Wohnung, wie sie jeder aus der Mittelschicht gerne hätte.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragt Sina, obwohl sie auch darauf die Antwort schon kennt.
    »Was denken Sie denn?«, sagt Birgit Salfeld patzig, genauso, wie es zu erwarten war. Aber man muss ihr die Möglichkeit geben sich aufzuregen, sonst vertraut sie einem nicht.
    »Ich denke, dass es Ihnen ziemlich schlecht geht«, sagt Sina gleichbleibend freundlich, während die Musik immer noch kreischt und wummert, aber jetzt immerhin gedämpft wird von der geschlossenen Tür. »Ihr Mann ist weg, ihre beiden Töchter sind traumatisiert, und Sie haben keine Ahnung, was überhaupt passiert ist.«
    »Sie wissen gar nichts«, sagt Birgit Salfeld, aber es klingt nicht mehr so aggressiv, eher gedankenverloren.
    Sie kaut an ihrem Daumennagel herum und schaut aus dem Fenster, als hätte sie vergessen, dass jemand da ist. Die Aussicht ist schön, sie hat etwas Beruhigendes. Man sieht auf den großen begrünten Innenhof, von dem aus Salfeld geflüchtet ist.
    »Sagen Sie mir, was los ist. Lassen Sie es raus.«
    An dieser Stelle beginnen die Frauen meistens zu weinen. Aber nicht Birgit Salfeld. Das gefällt Sina und nicht nur das. Die Frau ist angeschlagen, aber sie wirkt immer noch sehr stark und gefasst. Sina weiß, dass sie für das Abendblatt arbeitet und einen guten Ruf als Journalistin hat, die perfekt recherchiert, an ihren Geschichten dranbleibt und sich nichts erzählen lässt.
    Die Musik hört abrupt auf.
    »Es hat keinen Sinn, darüber zu reden«, sagt Birgit Salfeld in die Stille hinein. Sie lässt ihren Daumennagel in Ruhe undheftet ihren Blick auf die Kommissarin, betrachtet sie richtig von oben nach unten. Sina lässt sich das gefallen.
    »Sie müssen mir trotzdem ein paar Fragen beantworten«, sagt sie nach einer Pause.
    »Zu Lukas hab ich alles gesagt. Ich weiß nicht, ob er es war, und wenn er es war, weiß ich nicht, warum er so was macht. Okay? Okay ?«
    »Ihr Mann hat zehn Jahre lang im Gefängnis gesessen, weil er seine Freundin ermordet hat. Zehn Jahre lang. Wissen Sie, was das heißt?«
    »Was … Was meinen Sie damit?«
    Sina beugt sich über den Tisch, sieht ihr direkt in die Augen. Es ist schwierig, einem direkten Blick auszuweichen, der nicht unfreundlich ist.
    »Wer als Jugendlicher zehn Jahre im Gefängnis sitzt, hat etwas wirklich Schlimmes getan. Sonst kommt man früher wieder raus. Ihr Mann hat etwas wirklich unglaublich Schlimmes getan.«
    »Ja, vor fünfunddreißig Jahren. Seitdem …«
    »Seitdem wissen wir nichts über ihn. Soll ich Ihnen die Akten von all den Mädchen zeigen, die in den letzten Jahren verschwunden sind? Da würden Sie staunen.«
    Sie hat jetzt ihre Aufmerksamkeit, so viel ist sicher. Sie fährt fort: »Viele dieser Mädchen sind Ausreißerinnen, tauchen früher oder später wieder auf. Aber nicht alle. Bei Weitem nicht alle. Wir haben die Ermittlungen eingestellt, weil die Leichen nicht gefunden wurden. Wer sagt uns, dass Ihr Mann nicht schon lange aktiv ist – in Leyden oder sonst wo? Vielleicht ist ja diesmal nur was schiefgegangen.«
    Die Musik geht wieder an, aber viel leiser, sodass sie nicht weiter stört. Sina schweigt jetzt. An einem bestimmten Punkt ist es besser, wenn man gar nichts mehr sagt.
    Nach einer Pause fährt sie fort. »Ich muss Sie also noch mal nach Ihrem Verhältnis fragen. Ob Sie regelmäßigen Geschlechtsverkehrhatten, wie Sie sich verstanden haben, was er Ihnen von seiner Kindheit und Jugend erzählt hat. Irgendwas davon kann wichtig sein.«
    »Irgendwas«, sagt Birgit Salfeld und schaut versonnen nach unten, in den Innenhof.
    Sie stützt ihr Kinn in die rechte Hand, ihre dunklen Haare fallen darüber. Obwohl sie so fertig mit den Nerven ist und obwohl sie kein Make-up trägt, sieht sie gut aus. Selbst die Falten zwischen Mund und Nase machen sie nicht hässlich, sondern interessant.
    Als sie anfängt zu sprechen, klingt ihre Stimme tiefer und ruhiger, wie in Hypnose. »Wir haben uns an der Uni kennengelernt«, sagt sie. Sie macht eine Pause, aber Sina fragt nicht nach. Sie soll selber entscheiden, was sie erzählt, in ihrem eigenen

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