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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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zusammenreißen. Davor kommen die Erinnerungen an die letzten Male, wie lange es gedauert hat und wie schlimm es war, es auszuhalten, und sie glaubt, dass sie es dieses Mal einfach nicht schaffen wird.
    Es ist fast wie eine Art Lampenfieber (na gut, es ist schlimmer), man war schon so oft auf der Bühne und hat noch nie seinen Text vergessen, aber jetzt wird es passieren, man wird sich an nichts erinnern, man wird eventuell schreien oder lachen oder sich wehren oder sonst etwas Falsches tun, und dann wird die Vergeltung dafür noch viel schrecklicher sein als alles, was man bisher erduldet hat.
    Nachdem sie geschminkt wurde, zieht man ihr etwas an, sie weiß nicht was, nur dass es sauber ist und gut riecht. Auch ihre Haare riechen gut, nach Apfelshampoo. Sie ist eine wunderbar duftende Süßigkeit, die einer Runde von Genießern dargeboten wird, und ein paar Sekunden lang hat dieser Gedanke etwas Tröstliches, bis sie sich wieder daran erinnert, was sie mit ihr machen werden und dass sie zum Schluss keine Süßigkeit mehr sein wird, sondern aussehen und sich fühlen wird wie ein gerupftes Huhn.
    Sie muss beinahe lachen bei dem Gedanken. Gerupftes Huhn klingt nett.
    Aber die Tränen laufen weiter, quetschen sich unter der Binde hervor, machen das ganze schöne Make-up kaputt.
    HÖR AUF .
    Der Befehl kommt ganz leise und scharf, fast flüsternd, und sie kann nicht unterscheiden, ob es eine Männer- oder Frauenstimme ist, aber das ist ja egal.
    Sie wird zu einem Auto geführt, wie immer.
    Sie hört das leise Geräusch, als die Tür geöffnet wird.
    Jemand hilft ihr dabei, sich zu setzen, und die Tür fällt dumpf neben ihr zu, sie spürt den Luftzug. Ihr wird schlecht von dem Geruch nach Leder, sehr helles Licht, vielleicht Sonnenlicht stiehlt sich unter ihre Augenbinde, sie gibt sich Mühe, sich nicht zu übergeben, aber die ganzen letzten Male hat es nichts genützt, und auch diesmal schieben sie eine Tüte in ihre Hand und sie spürt den kalten Durchzug, während das Auto brummend startet.

9
    Abends bin ich schon mit fünf der Angefragten befreundet. Außerdem schickt mir Facebook Namen von Leuten, die ich eventuell ebenfalls kennen könnte. Ich versende weitere Anfragen.
    Am nächsten Morgen habe ich bereits acht Freunde, eine von ihnen, sie heißt Svenja Nonnenbroich, hat an meine Pinnwand gepostet:
    Bist du etwa neu bei Facebook?
    Ich gehe auf Svenjas Seite und antworte:
    Ja, ich fand Facebook immer lächerlich. Mal sehen.
    Na, jedenfalls willkommen!
    Nun wage ich es, Silvia Johansson um ihre Freundschaft zu bitten.
    Sie postet:
    Woher kennen wir uns denn?
    Ich schreibe zurück, dass sie mir von Facebook vorgeschlagen worden sei und mir ihr Foto gefallen habe. Bevor ich das abschicke, überlege ich minutenlang und entscheide mich dann dafür, erst am nächsten Tag zu antworten. Ich möchte nicht in einen Chat geraten, ohne mich vorbereitet zu haben.
    Sorgfältig studiere ich ihre Einträge.
    Vor drei Wochen war sie auf einer Party eingeladen; die Fotos hat sie heruntergeladen. Ich finde den Namen der Gastgeberin – ganz offensichtlich keine enge Freundin, denn sie taucht sonst nirgendwo auf – und schicke eine Anfrage an sie und vorsichtshalber auch an ein paar Jungen, die auf den Fotos markiert sind.
    Am darauffolgenden Morgen habe ich bereits neunzehn mirvöllig unbekannte Freunde. Die Gastgeberin ist darunter, also kann ich Silvia jetzt schreiben, dass ich sie auf deren Party gesehen und mich bei Peter nach ihrem Namen erkundigt hätte. Peter ist einer der Jungen, die jetzt auch auf meiner Liste stehen. Er ist auf mehreren von Silvias Fotos verewigt und sieht jedes Mal so sturzbetrunken aus, dass er sich bestimmt nicht mehr an jeden Vorfall dieses Abends erinnern kann. Ich versuche, mich so kurz wie möglich zu fassen, denn anhand der Beiträge auf ihrer Seite merke ich, dass sonst die Gefahr besteht, sehr schnell als Erwachsener erkannt zu werden. Der Jargon ist fast wie eine Fremdsprache, mit Abkürzungen, die ich nicht verstehe, und komplett ausgehebelten Grammatik- und Rechtschreibregeln.
    Vor einigen Monaten hat sich Birgit auf Facebook angemeldet, um Teresas Kontakte zu überprüfen. Teresa hat sie widerwillig als Freundin akzeptiert und seitdem checkt Birgit einmal wöchentlich ihre Seite. Alle Eltern, die wir kennen, machen das so: Einer von beiden gibt den Kontrolleur.
    Ich selber habe das immer abgelehnt. Aber heute gehe ich auf Teresas Seite, ich kann nicht anders. Zu meinem Erschrecken stelle ich

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