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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Tempo. Sina sieht sie nur an, nickt ihr zu, nimmt ein modernes digitales Aufnahmegerät aus ihrer Tasche und macht es an.
    Schweigen.
    Schließlich nimmt Birgit Salfeld einen neuen Anlauf. »Er redet nicht gern«, sagt sie und verstummt.
    Sina nickt ihr zu.
    »Er redet über Filme oder Bücher. Politik auch manchmal. Aber er sagt nie, wie er etwas findet. Das macht mich wahnsinnig. Ich will eine Meinung hören und es kommt nur … Es kommt nur … Dass er es interessant findet und was seiner Meinung nach der Autor oder der Regisseur damit sagen wollte, aber es geht nie ins Persönliche.«
    »Warum macht Ihnen das etwas aus?«, fragt Sina.
    Birgit Salfeld sieht sie nachdenklich an, die Hand immer noch unter ihrem Kinn.
    »Man lernt einen Menschen erst kennen, wenn man weiß, was er mag und was nicht. Das ist doch so, oder?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Sina. »Vielleicht.«
    »Das geht mit Lukas nicht. Er ist wie ein Fisch. Er gleitet einem aus den Fingern. Man kann mit ihm nicht einmal streiten.Er streitet nicht. Er sagt: ›Ich bin anderer Meinung, also müssen wir eine Lösung finden, die für uns beide funktioniert.‹ Er ist wie ein Scheißtherapeut . So scheißverständnisvoll . Und dann macht er genau das, was er will.«
    »Keine Diskussion?«, fragt Sina.
    »Keine Diskussion. Was ich will, denke, finde, glaube, liebe, das ist völlig uninteressant. Er weiß nichts von mir. Ich weiß nichts von ihm.«
    »Was hat er Ihnen über seine Kindheit erzählt?«
    »Puh«, sagt Birgit Salfeld, die Sina jetzt in Gedanken Birgit nennt. Vielleicht liegt es daran, dass sie ungefähr im selben Alter sind, beide Mitte vierzig. Vielleicht haben sie sich als Jugendliche einmal gesehen, auf einem Konzert oder einer Party.
    Auch Birgit ist in Leyden geboren und aufgewachsen.
    Birgit lacht ein bisschen, streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Überlegt. Dann sagt sie: »Ehrlich, ich weiß ja nur die Fakten. Und vielleicht stimmen nicht einmal die. Seine Eltern sind tot.«
    »Das stimmt«, sagt Sina, »das haben wir nachgeprüft.«
    Birgit sieht sie an mit einem kleinen Lächeln, das tatsächlich fast erleichtert wirkt.
    »Er hat keine Geschwister«, fährt sie fort.
    Sina holt Zigaretten aus ihrer Tasche und bietet Birgit eine an. Sie weiß ja, dass sie raucht.
    Birgit nimmt eine und zieht ein Feuerzeug aus ihrer Jogginghose. Dann steht sie auf und holt einen Aschenbecher, der in der Spüle steht. Ein paar Sekunden lang schweigen sie und rauchen. Sina überlegt, wie viel sie ihr erzählen darf.
    Schließlich sagt sie: »Wir sind immer noch dabei zu ermitteln. Da beide Eltern tot sind, macht es die Sache schwierig. Wir sind noch auf der Suche nach Angehörigen. Mehr kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.«
    Birgit atmet tief ein. Plötzlich verspürt Sina den ganz starkenDrang, sie zu trösten. Sie sagt: »Er wollte nicht, dass Sie Fragen stellen. Jede Frage hätte Sie der Wahrheit nähergebracht.«
    »Ja.«
    »Das kann auch einfach heißen, dass er Sie nicht belügen wollte.«
    »Ich weiß. Danke.«
    Birgit versinkt in finsteres, brütendes Schweigen.
    »Haben Sie Lukas manchmal misstraut?«, fragt Sina, diesmal ohne genau zu wissen, wo sie damit hinwill.
    Birgit lacht wieder, aber nicht bitter, sondern wie jemand, der sich über sich selbst lustig macht. »Ja sicher. Mindestens fünf-, sechsmal in unserer Ehe war ich mir absolut sicher, dass er mich betrügt.«
    »Wann?«, fragt Sina.
    »Was?«
    »Wann war das jeweils? Wann dachten Sie, dass er Sie betrügt?«
    Birgit sieht Sina an und begreift langsam. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
    Nachdem sie geduscht wurde, verbindet man ihr die Augen und führt sie eine Treppe hoch. Sie kommt in ein warmes Zimmer und spürt, wie sie geschminkt wird: Jemand malt ihr etwas Fettiges auf die Lippen, dann spürt sie etwas im Gesicht, das Make-up sein könnte. Nur die Augen bleiben verbunden, also ungeschminkt. Dann hört sie die Anweisung, es ist immer dieselbe: Mach die Augen zu.
    In diesem Moment kommen ihr immer die Tränen, sie weiß nicht, warum, das heißt, sie weiß natürlich schon, warum, aber nicht, warum sie sie ausgerechnet jetzt nicht zurückhalten kann.
    Es gibt doch so viele schreckliche Ereignisse in ihrem neuen,fremden Leben, über die sie nie weint. Aber jetzt weint sie, weil sie weiß, was passieren wird.
    Wenn es dann so weit ist, spürt sie fast nichts mehr, spaltet sie alles ab, vergräbt es irgendwo, als könnte man es von ihr trennen. Aber davor kann sie sich nicht

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