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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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zwangsläufig verdächtig aussehe. Ich klappe den Schirm zu und beginne zu laufen.
    »Stehen bleiben!«
    Eine junge, unsichere Stimme. Ich drehe mich ein zweites Mal um und sehe, dass jetzt auch sein Kollege aufmerksam geworden ist. Er sprintet zum Wagen.
    Ich renne hustend.
    »Halt!«
    Ich rutsche auf dem Neuschnee aus, rapple mich wieder hoch, stürze mehr, als dass ich laufe. Eine Gruppe von neugierigen Glotzern kommt mir entgegen. Sie sehen aus wie Studenten und scheinen sich großartig zu amüsieren, das Ganze sieht wahrscheinlich aus wie eine Szene aus einem Slapstick.
    Ich erreiche den Lessingdamm. Meine Beine bewegen sich jetzt wie die Glieder einer Maschine, gleichförmig und so, als gehörten sie gar nicht zu mir. Mein Atem rasselt, meine Lunge fühlt sich an, als befände sich eine Ladung Chili darin, mein Kopf ist riesengroß und gleichzeitig so leicht wie eine Seifenblase, die sich jederzeit von meinem Körper lösen und davonschweben könnte.
    Trotz aller Widrigkeiten laufe ich weiter. Da ich nicht mehr imstande bin, mich umzudrehen, kann ich nicht sehen, wie nah sie mir schon sind.
    Ein Schuss fällt. Oder habe ich mich verhört?
    Ich bleibe nicht stehen, weil ich nicht glauben kann, dass sie wirklich scharf schießen werden. Bisher bin ich nur ein älterer Mann, der sich ein bisschen komisch benommen hat, sodass man ihn vielleicht für einen Voyeur halten könnte, und der sich nur verdächtig macht, weil er davonläuft.
    Es gibt viele Menschen, die sich vor der Polizei fürchten, auch solche, die überhaupt nichts angestellt haben. Die Flucht kann ein purer Reflex sein.
    Ich glaube, einen zweiten Schuss zu hören. Jemand brüllt: »Bleiben Sie stehen, wir wollen nur mit Ihnen reden!« Ein dritter Schuss. Oder bilde ich mir das ein, waren die vermeintlichen Schüsse nur Fehlzündungen?
    Ich renne weiter, den Lessingdamm entlang.
    Links ziehen Autos, rechts geschlossene Geschäfte mit erleuchteten Schaufenstern an mir vorbei, Passanten sehen mir nach, ich beachte sie nicht, denn das würde mich zu viel Kraftkosten. Ich habe den Eindruck, dass der Schneefall immer stärker wird, aber ich beschließe, auch darüber nicht nachzudenken. Nicht darüber und auch nicht über meinen Husten, der mich beim Laufen behindert. Nur ein einziger Gedanke muss meinen Kopf beherrschen: Ich darf nicht aufgeben.
    Wenn sie mich jetzt kriegen, wäre alles zu Ende. Ich würde verurteilt werden, die Indizien sind erdrückend, und noch dazu habe ich mich heute Abend selbst ins Aus manövriert.
    »Mörder spähte bereits sein nächstes Opfer aus« – was für eine fantastische Schlagzeile! Ich muss beinahe lachen. Schon wirbeln mir neue Bilder durch den Kopf.
    Die Leiche von Marion, die ich durch den mit scheußlichen orangefarbenen Kacheln gefliesten Hobbyraum ihrer Eltern ins Bad schleife. Sie war so leicht und zart und ist jetzt so unglaublich schwer.
    In der Badewanne wasche ich sie sorgfältig ab, während ihre Eltern oben schlafen.
    Ich sehe Marions tote Augen, die mich überallhin zu verfolgen scheinen, weil ich es nicht fertigbringe, sie zu schließen. Ich rieche den muffig-rostigen Geruch des geronnenen Blutes. Ich fühle den Ekel, die Trauer, das Grauen, die Reue, den Schmerz.
    Ich schicke diese Erinnerungen weg und stelle mir stattdessen vor, in einem Zug zu sitzen, ja sogar das Fahrgeräusch zu hören, das künstliche, aber unglaublich beruhigende »Tschtschtsch« aus freundlichen alten Filmen, während meine Beine, im Rhythmus dieses eingebildeten Geräuschs, so unablässig ihre Arbeit tun – wie Räder auf Schienen.
    Das Zischen und Rattern verstummt, stattdessen ertönt eine höchst reale Polizeisirene, die so klingt, als wäre der Wagen direkt hinter mir. Ich biege in eine dunkle Querstraße ein. Hier stehen – ich kann mein Glück kaum fassen – wunderschöne Einfamilienhäuser, teilweise sehr moderne Quader, teilweise perfekt renovierte, mit verschnörkelten Erkern bestückteVillen aus der Jahrhundertwende. Die Sirene heult erneut auf. Der Wagen ist tatsächlich direkt hinter mir, es muss der Kollege des Polizisten sein, der mich zu Fuß verfolgt.
    Ich huste und huste und springe über einen mittelhohen Zaun aus gekreuzten Holzlatten, den ich im Normalzustand niemals bewältigt hätte. Aber jetzt erscheint mir plötzlich alles möglich. Unter meinen Füßen ist nasses Gras, dessen Kälte ich riechen kann und das schmatzende Geräusche unter meinen Schuhen verursacht. Hinter mir höre ich einen

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