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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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daran.
    »Was ist los?«, fragt Sina, als sie ihren Aperitif bestellt haben und die Speisekarten vor ihnen liegen. Meret klappt ihre auf, ohne Sinas Blick zu erwidern.
    »Bestellen wir erst mal«, sagt sie.
    Sina legt ihre Hand auf Merets, eine spontane Geste, die nicht gerade typisch für sie ist. Eigentlich lässt sie sich nicht gern anfassen. Deshalb fasst sie auch andere Menschen selten an.
    Meret ist ganz anders. Aber jetzt zieht sie ihre Hand wegund bedeckt sich damit die Augen. Sina sagt nichts und behält sie weiter im Blick. Ihr Bedarf an Kummer ist eigentlich für diesen Tag gedeckt, und deshalb hofft sie, dass nur so etwas Banales wie ein geplatztes Rendezvous dahintersteckt.
    »Meret«, sagt sie so sanft wie sie kann.
    Meret reißt mit einer hastigen Bewegung ihren Haargummi vom Pferdeschwanz und die Haare fallen ihr wie ein Vorhang rechts und links neben das Gesicht und verdecken es halb. Jetzt weiß Sina, dass es nichts Banales ist. Sie bleibt einfach sitzen und wartet, bis Meret sich beruhigt hat.
    Nach ein, zwei Minuten stürzt Meret ihren Aperitif zur Hälfte hinunter, schnäuzt sich in die Papierserviette und lächelt, aber nicht so, als würde es ihr besser gehen.
    »Wir bestellen jetzt mal«, sagt sie, immerhin mit kräftigerer Stimme als vorhin.
    Während des Essens ist sie fast die Alte. Sie reden über Karens Verschwinden, und Sina erzählt ihr alles, was sie wissen darf. Das ist fast alles, was sie selbst weiß. Als der Kellner die Teller abräumt, schenkt Meret Rotwein nach. Sinas Protest ignoriert sie, dabei sind sie schon bei der zweiten Flasche. Auch das ist neu. Eigentlich trinkt Meret wenig.
    »Was ist los …«, fragt Sina. »… mit dir« schiebt sie nach, als Meret sie gespielt verständnislos anschaut.
    »Nichts«, sagt sie und zwirbelt sich die Haare wieder aus dem Gesicht.
    »Das stimmt doch nicht«, sagt Sina.

17
    »Was hättest du getan?«, frage ich Vassilis, nicht um ihn zu provozieren, sondern weil ich es wirklich wissen will. Ich spreche heute zum ersten Mal über das, was damals passiert ist. Vor der Polizei und vor Gericht habe ich nur die Tat gestanden, über meine Motive habe ich kein Wort gesagt. Ich hatte Angst, dass sie mich sonst nie mehr herauslassen würden.
    Im Gefängnis kam ein Geistlicher, um mich in den Schoß der Kirche zurückzuholen. Ich betete bereitwillig mit ihm, und er war glücklich und besuchte mich von nun an jede Woche.
    Er hat mich nie direkt auf die Tat angesprochen. Vielleicht hatte er Angst vor den blutigen Einzelheiten, vielleicht war es einfacher für ihn, mich zu mögen, wenn er nicht zu viel wusste.
    »Du gehörst in eine Anstalt«, sagt Vassilis trocken.
    Ich zünde zwei Zigaretten an, die letzten in meiner Schachtel, und schiebe ihm eine zwischen die Lippen. Er nimmt einen tiefen Zug und ich nehme sie wieder heraus. Es ist eine fast intime Geste, und sie ist uns beiden so zuwider, dass ich fast versucht bin, ihn loszubinden, damit er die Zigarette selber halten kann.
    »Und was, wenn ich es nicht war?«
    Ich sage es leichthin, als wäre es nicht von Bedeutung.
    »Du warst es doch. Du hast gestanden, oder nicht?«
    »Und was, wenn ich gelogen hätte?«
    »Wieso solltest du lügen? Das ist doch unlogisch!«
    Ich stelle mich ans Küchenfenster und rauche. Ich schaue auf die stille Straße unter mir, im gelblichen Schein der Straßenlaternen kann ich sehen, dass es immer noch heftig schneit.
    Ich rechne zurück: Annes Tod liegt jetzt etwa drei Wochen zurück, und ich weiß immer noch nicht, ob ich der Täter bin.
    Ich drehe mich zu Vassilis um. Er sitzt im Dunkeln, ich kann ihn kaum sehen, aber ich will das Licht nicht anmachen. Ich sage: »Darum geht es nicht. Ich habe Marion getötet.«
    »Was soll das dann jetzt?«
    Ich mache das Licht an, er schließt geblendet die Augen. In der spärlichen Beleuchtung wirkt die Küche noch schäbiger als bei Tageslicht. In den Ecken sammelt sich schwärzlicher Schmutz, die Wände sind in einem scheußlichen, wasserabweisenden Grün gestrichen.
    Offensichtlich ist es Vassilis egal, wie er wohnt. Oder er will sich nicht wohlfühlen, bestraft sich selbst mit einer so unwirtlichen Umgebung. Dagegen ist in seinem Imbiss unten alles blitzsauber.
    Ich sage spontan: »Warum räumst du nicht auf?«
    »Was geht dich das an?«, braust er auf. »Du bringst Menschen um und regst dich über Unordnung auf?«
    »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, sage ich heftig und wundere mich über mich selbst, bin

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