Das Falsche in mir
E-Mail-Adressen.
Wirklich?
»Wir müssten noch mal …«, beginnt Sina.
Gronberg drängt sich an ihr vorbei und drückt auf den Klingelknopf. Im Haus hört man weit entfernt ein melodisches Dingdong.
Sie warten schweigend. Ein Passant hastet an ihnen vorbei, weicht auf die Straße aus, die Augen gesenkt, als hätte er ein schlechtes Gewissen.
Sina klingelt ein zweites Mal, diesmal länger.
Dingdongdingdong.
Nach einer halben Minute geht der Türöffner und sie gehen hinein. Gronberg drückt auf einen Schalter, grünliches Licht flammt auf.
Sie nehmen die Notebooks der Mädchen an sich.
Noch einmal durchkämmen sie die Wohnung nach einem eventuell versteckten weiteren Endgerät. Sie finden nichts.
»War der Computer, den wir damals mitgenommen haben, Ihr einziger Computer?«
»Nein, wie Sie sehen, haben auch die Mädchen welche.«
Bei der ersten Durchsuchung hatten sie nicht an die Notebooks der Mädchen gedacht. Wahrscheinlich waren die Mädchen in der Schule und hatten sie dorthin mitgenommen. Sonst wären sie ihnen sicherlich aufgefallen …
Wie ist Ihr Mann entkommen? Wie konnte das passieren?
Ich habe keine Ahnung.
Frau Salfeld …
Keine Ahnung, Scheiße! Machen Sie Ihren Job, finden Sie’s raus.
Sie haben alle Nachbarn befragt und schließlich herausbekommen, dass die Stegners in Urlaub waren. Und dann fieles Birgit angeblich wieder ein: dass sie einen Schlüssel von den Stegners hatten, um Blumen zu gießen, und dass dieser Schlüssel nicht mehr da lag, wo er gelegen hatte. Sie haben die Wohnung der Stegners durchsucht und das offene Fenster gefunden.
Fiel das Birgit absichtlich erst dann wieder ein, nachdem ihr Mann über alle Berge war? Deckt sie ihren Mann?
Mit diesen Fragen hat Gronberg viel Zeit vertan, die sie besser hätten nutzen können. Sina weiß: Birgit deckt keinen Mörder, das ist nicht ihr Stil. Sie selber muss das größte Interesse daran haben, dass ihr Mann gefunden wird. Erst dann kann sie neu anfangen.
»Von den Computern der Mädchen abgesehen – gibt es andere Endgeräte in Ihrer Wohnung?«
»Nein!« Birgit schreit. »Das haben Sie mich schon mal gefragt! Glauben Sie, ich bin blöd?«
Die Mädchen stehen hinter ihr in der Diele, blass und verschlafen. Kira zuckt zusammen, als ihre Mutter schreit. Teresa sieht eher gelangweilt aus, als wäre sie daran gewöhnt. Ein Teenager, der alle Erwachsenen hasst.
»Wann krieg ich mein Notebook wieder?«, fragt sie und spuckt die Frage förmlich in den Raum.
»Bald«, sagt Sina und spürt Gronbergs Ungeduld; er will hier weg, weiterarbeiten. »Wir müssen nur etwas nachschauen, das geht schnell.«
»Wann? Wir brauchen das für die Schule.«
»Bald. Wahrscheinlich schon morgen.«
»Macht euch keine Sorgen«, sagt sie.
»Wir werden wegziehen«, sagt Birgit zu Sina.
»Das verstehe ich. Sie wollen woanders neu anfangen«, sagt Sina versöhnlich. »Aber Sie müssen warten, bis die Untersuchungen beendet sind.«
»Sie können uns hier nicht festhalten.«
»Wir bitten Sie noch um etwas Geduld. Ein Mädchen ist tot, eins wird vermisst. Denken Sie an die Eltern.«
»Was glauben Sie, was ich die ganze Zeit tue?«
»Natürlich.«
»Tag und Nacht! Tag und …«
»Ich weiß.«
Sie fahren durch das Schneegestöber zum Revier. Es ist mittlerweile acht Uhr; mit deprimierender Langsamkeit bequemt sich der Himmel, etwas heller zu werden, von dunkelschwarz zu dunkelgrau. Sina denkt an das gestrige Telefongespräch mit Meret.
Diesmal klang Meret nicht verzweifelt, sondern unangenehm aufgedreht, wie man sie sonst gar nicht kennt. Meret wirkt normalerweise vollkommen entspannt, sie ist lebhaft, aber nie nervös.
Warum sagst du nicht, was passiert ist.
Es ist nichts passiert. Nichts. Ehrlich.
Das ist nicht wahr.
Was ist denn mit dir los?
Mit mir?
Du fragst mich aus. Ich bin keine deiner Verdächtigen.
Das habe ich nie gesagt!
Du behandelst jeden, als wäre er verdächtig.
Das ist nicht wahr!
Du merkst das gar nicht mehr.
Zum ersten Mal in ihrer Freundschaft haben sie gestritten. Oder Meret hat gestritten. Und schließlich das Gespräch abgebrochen, und zwar so abrupt, dass Sina nicht einmal dazu kam, zu fragen, weshalb Meret überhaupt angerufen hat.
Und daraufhin hat Sina etwas getan, das sie nun bereut, weil es Geheimnisse gibt, auf die jeder Mensch ein Recht hat.
5
8. Oktober 1976
Lukas liebt mich. Das weiß ich. DAS WEISS ICH. Seitdem wir zusammen sind, bin ich nicht mehr niemand. Ich bin jemand. Es gibt mich, weil
Weitere Kostenlose Bücher