Das Falsche in mir
Lukas mich sieht und mich versteht. Ich existiere, weil er es sagt. Er sieht, dass ich Augen habe, einen Mund, einen Körper, Haare – er sagt, dass er all das liebt.
…
Besonders liebt er meine weiße Haut.
…
Es hat ihn gestört, dass ich nach unserem Urlaub in Italien so braun war. Er wollte mich weiß, wie früher. Die Italiener mochten mich braun, sie haben mir hinterhergesehen und mich angesprochen, und Sophie hat mich ermutigt, aber ich habe mich auf nichts eingelassen, obwohl sie nett waren. Denn Lukas wartete.
Lilienweiß. Ich möchte für ihn lilienweiß sein.
Aber noch ist die Bräune da, sie verschwindet nicht so schnell, wie ich gehofft habe. Ich fühle, wie mein Körper sich nach ihm sehnt, obwohl ich Angst habe, alles zu geben. Ich habe Angst, ein bisschen auch vor Lukas. Wir haben es getan und es war schön, aber es war auch wild.
Lukas hat mich angesehen. Er war in mir und hatmich angesehen, und etwas war nicht richtig. Etwas in seinem Gesicht. Plötzlich war etwas verschoben, das vorher an der richtigen Stelle war.
Ich bin eine Idiotin.
Alles ist gut!
11. Oktober 1976
Es ist einer der Tage.
Ich muss aufstehen, will aber nicht. Ich quäle mich im Nachthemd zum Telefon in der Diele und rufe Lukas an, wie jeden Morgen um halb acht. Er steht dann neben seinem Telefon, immer. Wir reden nicht lange, aber danach kann ich doch aufstehen, mich anziehen, obwohl das Leben keine Farben hat, außer Braun und Grau.
…
Ich habe Angst, dass er mich verlässt. Es gibt so viele hübsche Mädchen, ich bin nur eine von vielen.
Wieso gerade ich? Ich bin krank. Eine kranke Idiotin. Und es gibt so viele gesunde, hübsche Mädchen. Lukas beruhigt mich. Er sagt, dass keine so ist wie ich, dass er mich liebt, dass wir immer zusammen sein werden, dass wir heiraten werden, sobald wir alt genug sind, dass es nur noch darum geht, die Schule zu Ende zu bringen, dass wir dann unabhängig sein werden von allen anderen, dass wir dann niemanden mehr brauchen, dass er für mich sorgen wird. Ich weiß, wenn er es sagt, dass es wahr ist.
Aber fünf Minuten später bin ich nicht mehr sicher. Es ist gut, dass ich ihn dann nicht anrufen kann, weil er schon aus dem Haus ist (sein Schulweg ist viel weiter als meiner).
Wenn ich ihn sehe, ist sowieso alles wieder gut.
15. Oktober 1976
Es ist Freitag und Lukas ist krank. Ich habe ihn angerufen, aber er will nicht besucht werden. Er sagt, er hat eine Magen-Darm-Grippe und er will nicht, dass ich ihn so sehe, mit den Krämpfen und dem Erbrechen und allem. Er sagt, morgen ist er wieder gesund, und dann sind seine Eltern nicht da, sie sind das ganze Wochenende weg, und ich kann zu ihm kommen und wir können zusammen sein, so lange wir wollen.
Ich habe Angst und ich will es. Ich will ihn. Ich will er sein. Einmal habe ich geträumt, dass er mich verschluckt und ich in ihm ruhe. Geborgen und sicher. Lukas isst für mich, trinkt für mich, denkt für mich. Ich bin umgeben von ihm.
Und nur von ihm.
Die Farben sind immer noch grau und braun. Lukas sagt, das liegt am Herbst. An den Wolken und so.
Vielleicht.
Ich liege im Bett und fasse mich an, weil ich an Lukas denken muss und es kaum aushalten kann, nicht bei ihm zu sein. Erst morgen! Ich werde gleich nach dem Frühstück zu ihm gehen. Ich nehme das Tagebuch mit, damit er es lesen kann.
…
Ich kann nicht schlafen. Ich streichle mich bis zum Schluss und denke an ihn. Ich stelle mir seinen Körper vor – alles an ihm ist mager undhart und gleichzeitig ganz weich. Ich denke an seine Hände und seine Bewegungen und sein Stöhnen. Ich winde mich.
Unter meinen geschlossenen Augen erscheint ein Blitz, eine Sonne, die so hell ist, dass sie alles ausfüllt. Alles verbrennt.
Lukas und ich sind jetzt eins. Ich bin in ihm, er ist in mir.
Ich bin Asche. Und daru nter glü he ich.
18. Oktober 1976
Es ist …
Ich weiß nicht …
Der Schnitt am Hals verheilt langsam, er will verheilen, aber ich kratze ihn immer wieder auf, als müsste ich mich erinnern. Mama fragt nach der Wunde. Sie ist misstrauisch. Dabei weiß sie nicht mal, dass es noch eine zweite gibt, die am Bauch.
Ich habe mich gekratzt.
Wo denn?
An einem Busch.
Welchem Busch? Du machst doch bei dem Wetter keine Spaziergänge.
An einem Busch. Lass mich in Ruhe.
6
Die Haut schützt den Organismus vor dem Eindringen von Krankheitserregern und gasförmigen, flüssigen oder festen Fremdsubstanzen im weitesten Sinn, vor mechanischen Verletzungen, Strahlenschäden,
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