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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Küsschen links und rechts verabschiedet,und Merets Wangen hatten sich eiskalt und hart wie Marmor angefühlt.
    Seitdem haben sie sich nicht mehr gesehen, und Sina hat sie nicht angerufen, weil sie ihr nicht auf die Nerven gehen wollte.
    Vielleicht hat Meret sie auch einfach satt, und Sina hatte sich ihre Verzweiflung nur eingebildet. Vielleicht war sie einfach gelangweilt. Langeweile ist für Menschen wie Meret wahrscheinlich eine Art Folter.
    Sina schiebt die Glastür ihrer Stammbäckerei auf. Warme, teiggesättigte Luft schlägt ihr entgegen. Wie immer hat sich eine Schlange gebildet, im Sommer reicht sie oft bis auf die Straße hinaus. Jetzt zwängen sich die Menschen in den engen Laden, um die Kälte auszusperren, und versuchen trotzdem, Abstand zu halten. Es riecht nach feuchter Kleidung, frischem Brot und den Ausdünstungen von Sinas Vordermann, der starker Raucher ist und ganz offensichtlich ungewaschen.
    Sie überlegt, ob sie wieder gehen soll, aber sie hat nur etwas Wurst und Käse zu Hause und überhaupt kein Brot mehr, also muss sie das jetzt ertragen. Wieder denkt sie an Meret, überlegt, was sie über sie weiß. Viel ist es nicht. Meret lebt erst seit ungefähr zehn Jahren in Leyden. Vorher hatte sie in New York studiert und einen Mr Giordano geheiratet. Die Ehe war wieder geschieden worden.
    Sie redet oft davon, wieder nach New York zu gehen, aber wahrscheinlich würde sie es doch nie machen, denn den beruflichen Erfolg, den sie hier hat, würde sie in den USA sicherlich nicht erreichen.
    Sie lebt allein, wie Sina, und hat mal kürzere, mal längere Affären. Meistens sind die Männer verheiratet, und das ist ihr ganz recht so. Sina vermutet, dass sie sich gar nicht verlieben will, weil sie sich, genau wie Sina, vor der Konsequenz und Verantwortung scheuen würde, die eine Beziehung mit sich bringt.
    Heute Morgen hat sie Meret wieder im Radio gehört, undsie klang wie immer: sanft, verführerisch, souverän. Während Sina, wenn sie sich aufregt oder schlecht fühlt, leicht ins Stottern gerät, wirkt Meret immer gelassen und ruhig, fließen ihre Sätze mühelos dahin, findet sie immer die passenden Worte, den richtigen Ausdruck.
    Die Schlange rückt auf. Schließlich ist Sina an der Reihe und ordert einen halben Laib dunkles Vollkornbrot.
    »Geschnitten?«
    »Nein. Danke.«
    Die Verkäuferin schlägt das Brot in Papier ein und reicht es Sina mit einem kleinen erschöpften Lächeln. In diesem Moment klingelt das Handy.
    Sina bezahlt hastig, schiebt sich aus dem überfüllten Laden und sieht auf das Display.
    Meret.
    Leander Kern, wer immer das ist, hat meine Freundschaftsanfrage bisher ignoriert. Auf seiner Seite sind alle Informationen für Nicht-Freunde blockiert. Es gibt keine einsehbare Freundesliste.
    Deshalb können wir nicht beurteilen, was es zu bedeuten hat, dass er sowohl auf Annes/Nuris Freundesliste auftaucht als auch auf Karens und Silvias. Vielleicht hat er achthundert Facebookfreundinnen, vielleicht auch nur zehn oder zwanzig.
    Ist Letzteres der Fall, müssen wir davon ausgehen, dass Silvia in Gefahr ist. Schon deshalb können wir nicht untätig bleiben. Nur, was sollen wir jetzt tun? Es hat keinen Sinn, bei der Polizei anzurufen. Vielleicht aber bei Birgits Zeitung, bei ihrem Kollegen Martin, der die Polizeiberichterstattung macht?
    Oder ist das eine vollkommen irre Idee?
    Ich erinnere mich im Moment nicht einmal an Martins Nachnamen. Ich habe ihn einmal bei einem Weihnachtsfest kennengelernt und mich kurz mit ihm unterhalten, das waralles. Warum soll ich ihn anrufen, was soll ich ihm sagen, welche Beweise habe ich?
    Keine.
    Ich springe auf, durchmesse Vassilis’ Wohnung. Ich bin angespannt, so überreizt und fahrig wie damals im Gefängnis. Eine rein physische Nervosität, die aus Enge entsteht und dem Wissen, dass man der Enge nicht entkommen kann, dass sie Teil der Strafe ist, die abgesessen werden muss.
    Ich stelle mich ans Fenster, zum hundertsten Mal an diesem Tag, obwohl es draußen nichts Interessantes zu sehen gibt, außer den dick eingemummelten Passanten.
    Wieder wird es dunkel, wieder wirft die Straßenlaterne ihren gelblichen, kreisförmigen Schein auf den verschneiten Asphalt.
    Ich versuche ruhig zu atmen, der Panik keinen Angriffspunkt zu bieten. Ich bin jetzt den zweiten Tag ununterbrochen in der Wohnung, kein Wunder, dass mich der Lagerkoller packt. Vassilis wird in etwa einer halben Stunde hochkommen, mir etwas zu essen bringen und dann wieder bis Mitternacht in seinen

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