Das Falsche in mir
aber auch vor Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Proteinverlusten, die bei schweren Verbrennungen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.
Vor einem scharfen Messer kann die Haut allerdings nicht schützen. Sich selbst nicht und auch nicht die inneren Organe, die sie abschirmt von der Außenwelt.
Gegen ein Messer ist die Haut wehrlos.
Ein sauberer Schnitt über die Bauchdecke. Das Messer zerteilt die drei Schichten der Haut. Die Epidermis mit den feinen Kapillaren des Blutgefäßsystems. Die glatte Muskulatur der Lederhaut mit den Talg- und Schweißdrüsen. Die Unterhaut mit der gelblichen Fettschicht, die bei dem Mädchen nicht besonders stark ausgeprägt ist.
Das Mädchen ist nackt und wurde mit einer ausgeklügelten Technik so gefesselt, dass sie alles spürt, sich aber dennoch keinen Millimeter bewegen kann. Sie sitzt auf einer Spezialanfertigung, einer Art Stuhl mit extrem überhöhter Lehne. Ihre Arme sind nach oben gestreckt und mit einem drei Millimeter dicken Nylonseil an den Handgelenken, den Ellenbogen und dem Schultergelenk an den beiden vertikalen, etwa anderthalb Meter hohen Streben befestigt. Ihr Kopf haftet an mehreren horizontalen Streben, fixiert mit dem gleichen Nylonseil, das quer über die Stirn, den Mundbereich und den Hals verläuft. Brust, Hüften und Beine sind auf die gleiche akribische Art gefesselt.
Das Mädchen ist nicht geknebelt, aber da das Seil durch ihren Mund verläuft, kann sie nicht sprechen, nur schreckliche, gequälte Laute von sich geben.
Und weinen. Weinen kann sie natürlich auch. Der Mann mag es, wenn sie weint, es zeigt ihm, dass sie lebt, nicht ohnmächtig ist und das Spiel weitergehen kann.
Das Messer gleitet nun durch die dünne Haut des Bauchfells, das die gesamte Bauchhöhle auskleidet. Das Messer wird angehoben und ein weiterer Schnitt vollendet das liegende V, das dem Täter nun erlaubt, die Haut anzuheben, während das Mädchen das Bewusstsein verliert.
Der Mann merkt das nicht sofort, sonst würde er sich ärgern. Aber im Moment ist er fasziniert von dem Anblick der – noch – unversehrten, braunroten Leber und einem Teil des etwas helleren Magens. Die Schnitte bluten ziemlich stark, aber man sieht die Organe trotzdem gut.
So weit ist er noch nie gegangen, sehr wohl in seinen Fantasien, aber nicht in der Realität. Dabei ging es ihm immer doch genau darum: zu erfahren, was Menschen zusammenhält. Wie ihre Software aussieht.
Wie sie funktioniert.
Der Mann schiebt seinen rechten Finger tief in den Bauchraum und spürt das warme Pulsieren des Lebens. Er lächelt.
Dann erst fällt ihm auf, dass das Stöhnen verstummt ist, und er hebt hastig den Kopf, studiert das Gesicht. Ihre Augen sind geschlossen, ihre Züge schlaff. Ihr Körper wird nur noch von den Seilen aufrecht gehalten. Der Täter schlägt sie auf die Wangen, links, rechts, mehrmals von beiden Seiten. Er hinterlässt seine blutigen Fingerabdrücke auf ihrer lilienweißen Haut.
Sie sieht tot aus. Aber er weiß ja, dass sie noch lebt.
Einen Moment lang ist er ratlos. Der Rausch verlässt kurz seine Sinne, der rote Nebel hebt sich und er wird ein paar Sekunden lang wieder zu einem anderen Menschen. Einem Menschen, den Blut irritiert und den Grausamkeit abstößt. Jemandem,der versteht, dass es Regeln geben muss, moralische Regeln mit albernen Prinzipien und Geboten, um eine im Kern anarchische Gesellschaft zu disziplinieren.
Auch wenn diese Regeln für ihn nicht gelten, er akzeptiert, dass sie sein müssen.
Er taucht wieder ab in seinen anderen Seinszustand.
Das Mädchen öffnet die Augen, starrt ins Leere. Der Täter lächelt sie an. Er geht zur Spüle und befeuchtet ein sauberes Geschirrhandtuch. Behutsam tupft er ihr das Blut von den Wangen und vom Körper.
Zufrieden sieht er, dass die Körperspannung wieder da ist. Das Blut sprudelt munter. Sie leidet Schmerzen und ist schwach, aber zum Sterben ist es noch zu früh.
Aber dann schließt sie ihre Augen. Die Wimpern flattern, flirren, alles scheint zu erstarren, ihre Haut wird zu Wachs, das Blut hört auf zu fließen.
Eine große Enttäuschung. Der Täter sitzt ein paar Minuten lang nur so da. Dann geht ein Ruck durch seinen Körper. Er holt den Wasserschlauch und spritzt sie ab, das eiskalte Wasser lässt seine Hände fast taub werden.
Dann holt er Make-up, Mascara, Lippenstift und einen Föhn, um ihren nassen Pagenkopf zu trocknen und in Form zu bringen.
Leander Kern hat auf meine Freundschaftsanfrage nicht reagiert. Er hat mir stattdessen
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