Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
Vom Netzwerk:
Vater.
    Meine Mutter liegt im Bett, betäubt von ihren Tabletten, und mein Vater ist unterwegs zu einer anderen Frau. Das weiß ich, weil ich in dieser Nacht hinter meinem Vater herschleiche. Die Frau wartet an der Querstraße in einem roten und sehr schicken Sportwagen auf ihn, ich kann nur ihr Profil durch das Fahrerfenster sehen: Sie trägt einen dicken, lockigen Pferdeschwanz, der sich hinter ihr auffächert wie eine Gloriole.
    Wer ist sie? Nichts an ihr kommt mir bekannt vor. Aber mein Vater kennt sie ganz offensichtlich; er steigt auf der anderen Seite ein, sie wendet ihm ihr Gesicht zu, er küsst sie, sie fährt los, der Schnee stiebt von den Autoreifen, und es wirkt vollkommen normal und selbstverständlich, als wäre das schon Hunderte Male passiert.
    Die nächste Erinnerung setzt vielleicht eine Viertelstunde später ein; ich liege jetzt im Bett und versuche, meine Füßeaufzuwärmen. Ich weine. Das ist seltsam, denn ich habe fast nie geweint.
    Ich bin wieder in der Gegenwart. Ich biege um eine Ecke und sehe verwehte Fußspuren von einem Mann. Sie können höchstens ein paar Minuten alt sein. Meine Sinne schärfen sich und ich folge ihnen langsam und vorsichtig.
    Ein Schritt nach dem anderen. Dabei drehe ich mich immer wieder um.
    Der Wind bläst mir nun wieder ins Gesicht und ich spüre, wie meine Lippen steif werden. Meine Nasenspitze schmerzt von der Kälte und meine Augen tränen.
    Ich arbeite mich weiter voran, den Spuren hinterher, die völlig chaotisch, wie die eines Betrunkenen, zwischen den Containerreihen mäandern, als wollte sich jemand einen Spaß mit mir machen. Ich sehe auf die Uhr, es ist zehn vor zwei. Die Spuren sind die eines Mannes mit festem Schuhwerk. Das Profil ist kräftig wie bei Bergsteigerstiefeln.
    Die Füße sind etwa so groß wie meine, Größe 44, 45. Ist das eine Falle?
    Schließlich bin ich in der letzten Containerreihe angelangt. Die Fußspuren führen auf die Amundsenstraße – also heraus aus dem Hafenareal, hin zum Kaiserdamm, wo sie sich mit den Spuren anderer Nachtschwärmer vermischen.
    Jemand wollte mich zum Narren halten.
    Ich stehe eine Minute lang auf dem leeren, verschneiten Lessingdamm herum wie ein Idiot, dann drehe ich um und gehe die Amundsenstraße wieder zurück, gehe jeden einzelnen Container ab, tue meine mir selbst auferlegte Pflicht, aber jetzt spüre ich Leander Kern nicht mehr.
    Um halb drei mache ich mich vollkommen entmutigt auf den Heimweg, denke zum ersten Mal seit Tagen wieder daran, aufzugeben, mich zu stellen.
    Ich erkenne, dass ich keinen Millimeter weitergekommen bin. Leander Kern, wer immer das ist, hat in meinem Namengemordet und wird das weiter tun, solange ich auf der Flucht bin. Wenn ich mich jetzt stelle, rette ich wahrscheinlich einem Mädchen das Leben, denn sobald sie mich haben, wird die Mordserie aufhören.
    Leander Kern ist intelligent genug, um seine Triebe zu beherrschen, vielleicht jahrelang. Er wird mindestens so lange warten, bis ich verurteilt bin und im Gefängnis sitze. Er wird irgendwann die Stadt oder sogar das Land verlassen und dann weitermachen. Oder auch nicht. Es gibt Mörder, deren Trieb jahrzehntelang schläft. Ich bin der beste Beweis dafür.
    Natürlich würde ich der Polizei meinen Verdacht mitteilen. Sie würden vielleicht sogar interessiert zuhören und eventuell Ermittlungen einleiten. Sie würden dann feststellen, dass Leander Kern eine Tarnidentität ist, sie würden mir in der Folge unterstellen, dass ich diese falschen Spuren selbst gelegt habe, um mich zu entlasten, und ich würde für diese sehr überzeugende These keinen Gegenbeweis aufbringen können.
    Die Frustration ist maximal.
    Es gibt keine Beweise gegen mich. Es würde also ein Indizienprozess werden, ich würde natürlich alles abstreiten, aber da ich nicht einmal selbst restlos überzeugt von meiner Unschuld bin, stünden meine Chancen denkbar schlecht.
    Meine Töchter müssten ertragen, dass ihr Vater vom Mordverdächtigen zum verurteilten Mörder avanciert. Leander Kern würde dafür sorgen, dass die Polizei erfährt, wer mich die ganze Zeit beherbergt hat, dann wäre Vassilis wegen Beihilfe oder Verdeckung einer Straftat dran.
    Vassilis würde seinen Laden verlieren und damit seine Existenzgrundlage.
    Birgit und die Kinder müssten spätestens zum Prozess die Stadt verlassen und unter einem anderen Namen neu anfangen. Teresas und Kiras Leben wäre irreparabel beschädigt, bevor es richtig begonnen hat.
    Ich kann mich nicht stellen. Zu

Weitere Kostenlose Bücher