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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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mir entgegen, ein ziviles Fahrzeug, aber ebenfalls sehr, sehr langsam, verdächtig langsam, und ich weiß, dass ich jetzt nicht umdrehenkann. Ich bin der einzige Passant auf der Straße, genauso gut könnte ich mir ein Schild – Lukas Salfeld, vormals Kalden, bitte festnehmen – um den Hals hängen. Ich gehe langsam geradeaus, den Kopf gerade so weit gesenkt, dass es nicht so wirkt, als wollte ich mein Gesicht verstecken.
    Der Wagen hält, ein Mann mit einer blauen Daunenjacke steigt aus. Es ist Gronberg. Er greift an seine Hüfte, wo ich eine Waffe vermute.
    »Stehen bleiben!«
    Ich drehe um und laufe.
    »Bleiben Sie stehen!«
    Ich laufe auf die Nibergstraße, mitten in das Menschengewühl hinein, versuche dort unterzutauchen, aber Gronberg ist schneller; ich werfe einen Blick zurück und sehe ihn nur ein paar Meter hinter mir, und direkt hinter ihm läuft ein anderer Bulle in Zivil. Jedenfalls nehme ich an, dass die beiden zusammengehören, sie haben den gleichen wilden, triumphierenden Jägerblick, wie ein Raubtier, kurz bevor es sein Opfer erlegt hat.
    Sie sind sich sicher, dass sie mich gleich haben.
    Ich wende den Blick wieder nach vorne. Zwei Polizisten kommen mir entgegen.
    Ich hetze über die Straße, registriere aus den Augenwinkeln, wie jemand vor einem Geschäft vom Rad steigt – ein Radfahrer bei so viel Schnee und Glätte, er muss verrückt sein –, und dann habe ich ihn bereits beiseitegestoßen, schwinge mich auf den Sattel. Das Vorderrad rutscht weg, als ich in die Pedale trete, ich stürze fast, aber nur fast, dann fahre ich auf dem Bürgersteig klingelnd und schreiend auf die Passanten zu.
    Verschwindet, ihr Arschlöcher!
    Die Passanten springen zur Seite, schließlich bin ich am Hauptbahnhof und fahre einfach in die ebenerdige Haupthalle, habe keinen Blick für die gleichzeitig schlanke und ehrwürdige Jugendstil-Architektur mit dem vor einigen Jahren teuer renovierten Glasdach.
    Der schwarz marmorierte Fliesenboden ist voller braunem Schneematsch, nass und glatt, ich spüre, wie das Rad droht wegzurutschen, aber ich darf jetzt nicht hinfallen. Ich überlege, das Rad stehen zu lassen und zu versuchen, mich in einem der etwa fünf stehenden Züge zu verstecken, dann wird mir klar, dass in der nächsten Stunde keiner dieser Züge abfahren wird, und radle weiter zum rückwärtigen Ausgang, hoffe, dass sie mich da nicht bereits in Empfang nehmen.
    Ich habe aufgehört, zu schreien und zu klingeln, fahre in möglichst unauffälligen Schlangenlinien um rollkofferziehende Geschäftsreisende, gereizte Mütter, die ihre dick eingepackten Kinder hinter sich zu den Gleisen zerren, und aufgekratzte Touristengruppen, die zum berühmten Leydener Weihnachtsmarkt angereist sind, der, wie mir jetzt einfällt, in ein oder zwei Tagen beginnen wird.
    Beim Vorbeifahren ziehe ich einem Mann seine Pudelmütze vom Kopf, und bevor der schreien kann, werfe ich ihm das Ohrenklappending zu und verschwinde. Vor dem Ausgang bremse ich, stelle das Rad ab, ziehe meine Jacke aus und die Pudelmütze über die Ohren. Dann sehe ich rechts zwei Polizisten, nein drei, vier, fünf, eine ganze Brigade, behelmt und in schusssicherer Kleidung, und ich begreife, dass sie jetzt den Bahnhof abriegeln werden.
    Nur ohne mich, denn ich bin bereits draußen, löse mich auf in der Masse, verschmelze mit meinem Umfeld.
    Der Mann, den es nicht gibt. Von dem nur eine Idee existiert. Ein Prinzip. Das Prinzip des Bösen.

14
    An diesem Morgen ist Len kurz angebunden, beinahe unfreundlich, und das verunsichert Teresa, die ihn nur als Werbenden erlebt hat, als jemanden, der mit geradezu unheimlichem Einfühlungsvermögen jede ihrer Stimmungen registriert hat und darauf eingegangen ist.
    Nichts davon heute. Stumm läuft sie neben ihm her, muss sich beeilen, weil er viel schneller geht als sonst, sich nicht wie früher an ihre Schritte anpasst. Als hätte er vergessen, dass sie neben ihm läuft. Enttäuscht bleibt sie zurück, überlegt, ob sie sich die ganzen letzten Tage nur eingebildet hat, dass sie sich nahe sind.
    Jetzt kommt ihr alles nur wie ein hübscher, dummer Traum vor: Der Mann, der neben ihr geht, gleichgültig und gereizt, der ist echt. Und sie ist eine dumme Kuh, die ihm hinterherläuft, obwohl er nichts mehr von ihr wissen will.
    Nun kommen ihr auch noch die Tränen. Was für eine Idiotin sie ist. Ihr Leben ist so schrecklich geworden – mehr Tränen fließen –, sie ist so einsam – leises Schluchzen setzt ein –, und nun verlässt

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