Das falsche Urteil - Roman
gesagt, dass sich das nicht wiederholen sollte.«
»Und das haben Sie respektiert?«
»Ja, das habe ich respektiert.«
»Und Ihr Bruder?«
»Der auch. Er hat nach dem zweiten Mord einen Versuch unternommen. Leo weigerte sich, ihn zu treffen.«
»Standen Sie in brieflichem Kontakt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber Sie haben sich um sein Haus gekümmert?«
»Nein, durchaus nicht. Ich hatte nur den Schlüssel. War während der letzten zwölf Jahre zweimal dort. Zum zweiten Mal eine Woche vor seiner Entlassung... da hatte er eine Karte geschrieben und mich gebeten, den Schlüssel zu hinterlegen.«
»Und das war alles?«, fragte Jung.
»Ja«, sagte sie und schaute ihn ein wenig beschämt an. »Das war alles, fürchte ich.«
Meine Güte, dachte Jung, als er eine Viertelstunde später die Straße überquerte. Ich muss heute Abend unbedingt meine Schwester anrufen. Mit uns darf es auf keinen Fall so weit kommen.
Und Maureen rief er besser auch an. Und sei es nur wegen des Vokabelheftes.
Nach einigen Kilometern Autofahrt fiel ihm ein, dass er sich nicht nach dem Hodenunglück erkundigt hatte, aber wie er die Sache auch drehte und wendete, er konnte sich nicht vorstellen, dass sie eine Rolle spielte. Und es wäre bestimmt leichter, das per Telefon zu klären.
Und nicht so schrecklich dicht vor ihr zu sitzen.
Ich bin wohl ein bisschen empfindlich, dachte er und schaltete das Autoradio ein.
16
Auf der Fahrt nach Ulmenthal ertappte Inspektor Rooth sich dabei, dass er sich über gewisse geographische Aspekte den Kopf zerbrach; im Nachhinein ging ihm auf, dass dieser Gedankengang ausgelöst worden sein musste, als er durch Linzhuisen fuhr und dabei die Ortsnamen Kaustin und Behren auf demselben Straßenschild entdeckte.
Kaustin 16, Behren 38.
Aber natürlich in unterschiedlichen Richtungen. Kaustin lag im Nordwesten. Behren fast geradewegs im Süden. Wenn seine rudimentären Geographiekenntnisse ihn nicht trogen, dann müssten die beiden Orte... mindestens fünfzig Kilometer auseinander liegen.
Warum hatte der Mörder den Leichnam gerade dort abgelegt?
In Behren. Einer Kleinstadt von ... ja, wie viel wohl? Fünfundzwanzigtausend Einwohnern? Auf keinen Fall konnten es mehr als dreißigtausend sein.
Purer Zufall?
Sehr gut möglich. Wenn der Mörder den Leichnam einfach so weit von Kaustin wegschaffen wollte, dass niemand ihn mit Verhaven in Verbindung brachte ... ja, dann war das vielleicht weit genug. Andererseits hätte eine noch größere Entfernung diesem Zweck natürlich noch mehr entsprochen.
Denn sie konnten ja wohl davon ausgehen, dass Verhaven in seinem eigenen Haus ermordet worden war. Oder konnten sie das nicht? Bisher wussten sie gar nichts genau, und vielleicht konnte er das Haus ja doch unbemerkt von Frau Wilkersons Falkenauge verlassen haben? Oder von irgendeinem anderen Blick?
Natürlich konnte er das. In der Nacht, zum Beispiel. Oder durch den Wald. Eigentlich hatte nur der Weg hinunter in den Ort Augen ... und natürlich der Ort selber.
Also konnte er sich nach Behren begeben haben ... oder an einen anderen Ort ... und dort auf seinen Mörder gestoßen sein. Zweifellos.
Er bog auf die Schnellstraße ab. Nächste Frage?
Wie? Wie könnte Verhaven nach Behren gelangt sein (oder, wie gesagt, an irgendeinen anderen Ort)?
Er hatte kein Auto mehr gehabt. Also mit Bus oder Taxi, andere Möglichkeiten gab es wohl nicht ... und dann dürfte es doch nicht sehr schwer sein, das in Erfahrung zu bringen.
So nach und nach zumindest. Bisher hatten sie sich die Medien noch vom Leib halten können; was natürlich gut für das Arbeitsklima und die Ermittlungen war, aber früher oder später würden sie deren Hilfe brauchen. Und natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Buschtrommel in Kaustin auch über etwas größere Entfernungen zu hören sein würde. Bald würde die Nachricht im ganzen Land verbreitet werden, und dann würden sie die Dinge nehmen müssen, wie sie kamen. Wie üblich.
Journalisten sind wie Kuhscheiße, sagte Reinhart immer. Das Phänomen als solches macht mich nicht gerade glücklich, aber ich sehe ein, dass es eine gewisse Berechtigung hat.
Und wenn es denn einen Taxifahrer gibt, dachte Rooth, oder einen Busfahrer, der sich an einen gewissen Fahrgast erinnern kann, der an einem Augustabend ... oder vielleicht an einem frühen Morgen ... von Kaustin nach ... ja, warum nicht nach Behren gereist ist, ja, dann wären die Möglichkeiten ja schon ziemlich
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