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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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ihm auf, dass er ein französisches Vokabelheft erwischt hatte, und er wusste, dass er es eingesteckt haben musste, als er kürzlich Sophie abgehört hatte.
    Sophie war dreizehn, fast vierzehn, und die Tochter von Maureen, mit der er seit einiger Zeit zusammen war.
    Seit ziemlich langer Zeit, wenn man genau sein wollte, obwohl sie sich nicht so oft trafen. Und als er nun hier saß und darauf wartete, dass die Zeit verging, fragte er sich, ob die Sache wohl irgendwann ernster werden würde. Zwischen ihm und Maureen. Er versuchte sich klarzumachen, ob er in dieser Hinsicht überhaupt Ambitionen hatte.
    Und vor allem – wie Maureen das sah.
    Vielleicht wäre es besser, keine zu haben. Die Sache in aller Ruhe ihren Gang gehen zu lassen und sich mit den Rosinen, die dabei zu finden waren, zufrieden zu geben. Wie immer, mit anderen Worten. Genau wie immer.
    Er seufzte noch einmal und nippte an dem dampfenden Getränk.
    Aber er mochte Maureen und half Sophie abends gern mit Mathe oder Französisch oder was immer gerade anlag; bisher war das kaum mehr als drei- oder viermal passiert, aber dabei war ihm schon ziemlich deutlich aufgegangen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben eine Art Vaterrolle spielte.
    Und auch das gefiel ihm. Es hatte eine... Dimension, mit der er bisher keine Erfahrungen hatte. Die ihm ein Gefühl von Ausgeglichenheit, Sicherheit und Ruhe gab, und daran
hatte in seinem Leben bisher wahrlich kein Überfluss geherrscht. Unklar blieb, was dabei wirklich herauskommen würde, aber etwas auf jeden Fall.
    Sure is, murmelte er und fragte sich zugleich, wo in aller Welt er einen dermaßen idiotischen Spruch aufgeschnappt haben mochte.
    Aber als er dann an diese anspruchslosen Abende dachte, an diese schlichte und doch großartige Tatsache, dass er einfach da war und ein wenig Verantwortung für ein halbwüchsiges Kind übernahm, ja, da musste er erkennen, dass er doch hoffte, dass Maureen ihn eines Tages ganz offen fragen würde.
    Dass sie ihn bitten würde zu bleiben. So weiterzumachen. Zusammenzuziehen und zu dritt eine Familie bilden.
    An manchen anderen Tagen konnte dieselbe Vorstellung ihm natürlich auch eine Heidenangst einjagen, das wusste er, und er selber würde es niemals wagen, dieses Thema zur Sprache zu bringen. Aber der Gedanke war vorhanden. Wie eine Art heimliche Hoffnung – eine Herzensangelegenheit, so verletzlich oder brüchig, dass er sie einfach nicht zur genaueren Untersuchung in die Hände nehmen konnte. Niemals würde er sie wirklich ausgiebig betrachten.
    Das Leben hatte seine Abzweigungen, wenn man sich das richtig überlegte, und nicht immer war auf diesen Wegen die Rückkehr gestattet.
    Was zum Teufel meine ich eigentlich damit, fragte er sich.
    Er schaute noch einmal auf die Uhr und steckte sich eine Zigarette an. Noch fünfzehn Minuten. Er freute sich nicht gerade auf das Gespräch mit Frau Hoegstraa, seines Wissens handelte es sich um eine alte Dame aus der Oberklasse ... um eine schroffe und verwöhnte Frau mit einem reichen Schatz an Rechten und keinerlei entsprechenden Pflichten. So hatte sie sich am Telefon auf jeden Fall angehört. Aber natürlich war die Vorstellung, dass sie mit Verhaven zu tun haben sollte, ja auch ein wenig verwirrend.

    Verhaven hatte doch nicht aus der Oberklasse gestammt?
    Bestimmt würde sie ihn genau unter die Lupe nehmen. Seinen eingefleischten Junggesellengeruch nach Tabak und billigem Rasierwasser registrieren, die fleckige Hose und die Schuppen auf den Schultern. Sie würde ihn mustern und danach energisch diese unsichtbare und doch so deutliche Distanz beibehalten, die wohl im Grunde auch dazu führte, dass die Menschen aus ihrer Schicht die Polizei als eine Art Dienstbotin betrachteten. Als etwas, dem sie die Aufgaben übertragen hatten, sie selber und alle anderen in der Gesellschaft bestehenden Werte zu hüten – Geld, die Schönen Künste, das Recht, sich nach Belieben im eigenen Besitz zu suhlen, und noch viele andere.
    Scheiße, dachte er. Das hört nie auf. Ich werde mein Leben lang mit meiner verdreckten Mütze in der Hand dastehen und meinen Diener machen.
    Verzeihen Sie, dass ich mich aufdränge. Verzeihen Sie, dass ich Sie mit Fragen belästigen muss. Verzeihen Sie, dass mein Vater aus der Druckerei gefeuert wurde und sich danach zu Tode gesoffen hat.
    Nicht doch, ich bedaure das zutiefst, gnädige Frau, bestimmt habe ich mich verlaufen ... natürlich will ich auf dem Hundefriedhof begraben werden, wo ich hingehöre.
    Er

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